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Chronik

1983

Januar

Katholische Bischöfe veröffentlichen eine Kritik der Einführung vormilitärischen Trainings in der Schule.

1983 verlassen 11.343 Menschen die DDR in Richtung Bundesrepublik.

Die Staatschefs aller Warschauer-Pakt-Staaten bieten bei einem Treffen in Prag dem Westen Gewaltverzicht und Abrüstung an.

Februar

Der ehemalige SS-Hauptsturmführer und Gestapo-Chef von Lyon, Klaus Barbie, wird nach seiner Ausweisung aus Bolivien in Frankreich verhaftet.

In Dresden demonstrieren rund 100.000 Menschen für den Frieden.

Mitteilung des Bundesjustizministeriums über die Löschung aller Urteile des NS-Volksgerichtshofs im Bundeszentralregister.

März

In Ost-Berlin findet das erste Mal das Seminar „Konkret für den Frieden I“ statt. 125 eingeladene Personen vertreten 32 Friedensarbeitskreise. Zur Gewährleistung einer gewissen Kontinuität wird ab 1984 ein Fortsetzungsausschuss gewählt.

Wahlen zum Bundestag. Die christlich-liberale Koalition wird bestätigt. Die Grünen ziehen zum ersten Mal in den Bundestag ein.

Der in die Bundesrepublik Deutschland geflüchtete DDR-Fußballspieler Lutz Eigendorf stirbt an den Folgen eines mysteriösen Autounfalls, bei dem die Beteiligung der DDR-Staatssicherheit vermutet wird.

Dorothea Fischer in Jena, ca. 1980. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft

Junge Jenenser demonstrieren am offiziellen Gedenktag zur Bombardierung Jenas mit eigenen Plakaten gegen die zunehmende Militarisierung der Gesellschaft. An der Aktion beteiligt ist auch Dorothea Fischer. Seit dem Tod ihres Freundes Matthias Domaschk 1981 engagiert sie sich in Jena gegen das SED-Regime.
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Präsident Ronald Reagan verkündet das Forschungsprogramm SDI zur Stationierung von Weltraumwaffen.

April

An den Ostermärschen nehmen mehr als 500.000 Menschen teil.

Am Grenzübergang Berlin-Drewitz erleidet der Transitreisende Rudolf Burkert während einer Vernehmung durch DDR-Grenzorgane einen Herzinfarkt und stirbt. Spannungen in den deutsch-deutschen Beziehungen sind die Folge.

Rumänien: Aus Angst vor oppositionellen Flugblättern wird der Besitz und Gebrauch von Schreibmaschinen eingeschränkt.

Günter Mittag besucht die Hannover-Messe. Er reist nach Bonn weiter und führt dort Gespräche mit Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff sowie Vertretern der Wirtschaft. Bundeskanzler Helmut Kohl verweigert aus Protest gegen den bislang ungeklärten Tod eines Transitreisenden am 10. April den Empfang Günter Mittags.

Schriftsteller aus Ost und West treffen sich in Ost-Berlin zur „2. Berliner Begegnung“ mit dem Thema Frieden und Abrüstung.

Der Transitreisende Heinz Moldenhauer stirbt während der Zollabfertigung an der Grenzübergangsstelle Wartha an Herzversagen.

Wegen der gestörten Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten nach dem Tod von zwei Transitreisenden sagt DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker den geplanten Besuch in der Bundesrepublik ab.

Die Grünen organisieren in Dortmund eine Solidaritätsveranstaltung für die inhaftierten oder aus der DDR ausgewiesenen Mitglieder der Jenaer Friedensgemeinschaft. Die Partei Die Grünen stellt in den 1980er Jahren die wichtigste Brücke für die DDR-Oppositionsgruppen zur bundesdeutschen Politik dar.
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Punks beim „Beat Inn“, Freilichtbühne Berlin-Weißensee, am 31. Juli 1988. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Volker Döring

In der Christuskirche in Halle findet das erste von Moritz Götze organisierte Punkkonzert statt. Es kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit „Ostkreuzern“, den Skinheads aus Ost-Berlin.
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Mai

Die II. END-Konferenz (European Nuclear Disarmament) tagt in West-Berlin. Einige Gäste kommen zu Besuch nach Ost-Berlin.

In mehreren polnischen Städten finden Demonstrationen für die verbotene Gewerkschaft Solidarnosc statt. In Warschau und Danzig geht die Polizei mit Wasserwerfern und Schlagstöcken gegen die Demonstranten vor.

Auf dem Alexanderplatz in Ost-Berlin demonstrieren fünf Bundestagsabgeordnete der Grünen für Abrüstung in Ost und West. Sie werden von der Volkspolizei zunächst festgenommen, nach wenigen Stunden jedoch freigelassen.

Solidarität aus dem Westen mit den inhaftierten Mitgliedern der Friedensgemeinschaft Jena. Die Protestpostkarte wird 1983 in der Bundesrepublik hergestellt und verkauft. Das eingenommene Geld unterstützt die DDR-Friedensbewegung. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft

Das MfS startet die „Aktion Gegenschlag“ gegen die Jenaer Friedensgemeinschaft. Innerhalb von drei Tagen werden 40 Personen in den Westen abgeschoben und zahlreiche Ausreiseanträge werden blitzartig genehmigt, um die Gruppe zu zerschlagen.
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Porträtbild von Andreas Friedrich, 1983. Bilder wie dieses sollten im Falle einer Verhaftung eines der Mitglieder der Jenaer Friedensgemeinschaft für die Öffentlichkeitsarbeit verwendet werden. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft

Der 24-Jährige Andreas Friedrich erscheint zusammen mit anderen Mitgliedern der FG Jena mit eigenen Transparenten zur Demonstration zum Pfingsttreffen der Freien Deutschen Jugend. Auf seinem Transparent steht: „Schwerter zu Pflugscharen“, der wichtigste Slogan der Friedensbewegung in der DDR. Friedrich ist Teil der gut vernetzten Tramperszene in der DDR. Er trampt quer durch die Republik, zu Konzerten oder um Freunde zu besuchen, aber macht sich auch kritische Gedanken über die Veränderung der Gesellschaft.
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Juni

Eine Fahrraddemonstration in Halle macht auf die Umweltverschmutzung durch die Buna-Werke aufmerksam. Sie findet anlässlich des Weltumwelttags statt.

Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft

Roland Jahn wird gegen seinen Willen ausgebürgert und mit Gewalt in die Bundesrepublik abgeschoben. In Knebelketten zum Grenzübergang Probstzella gebracht, sperrt man ihn in ein Zugabteil, das erst in der Bundesrepublik vom Schaffner geöffnet wird.
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Papst Johannes Paul II. trifft zu einem siebentägigen Besuch in Warschau ein. Am 23. Juni empfängt der Papst den Anführer der verbotenen polnischen Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc, Lech Walesa.

Der Parteichef der KPdSU, Jurij Andropow, wird zum sowjetischen Staatsoberhaupt gewählt. Damit sind die beiden höchsten Ämter der Sowjetunion wieder in einer Person vereinigt.

Bürgschaft der Bundesregierung für einen vom bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß (CSU) vermittelten Milliardenkredit an die DDR. In der Folge kündigt die DDR den Abbau der Selbstschussanlagen an der innerdeutschen Grenze an.

Juli

Die zweite „Friedenswerkstatt Berlin“ vereint unter dem Motto „Frieden pflanzen“ mit etwa 3.000 Teilnehmern das ganze Spektrum oppositioneller Strömungen im Protest gegen die Militarisierung der DDR-Gesellschaft.

Abschluss der KSZE-Folgekonferenz in Madrid.

Sie wollen, dass ihre Ausreise in den Westen endlich bewilligt wird: Im Sommer 1983 demonstriert der Weiße Kreis auf dem Platz der Kosmonauten in Jena. Quelle:BStU, MfS, HA XX/Fo/211-Bild 2

In Jena treffen sich auf dem zentralen Platz der Kosmonauten 49 Mitglieder des Weißen Kreises. Wie jedem Sonnabend im Juni und Julie 1983 fassen sie sich an den Händen und schweigen. Die Gruppe macht ihre Ausreiseanträge öffentlich und hofft ihren Wunsch die DDR zu verlassen mit ähnlichen Aktion unterstützen zu können.
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Aufhebung des Kriegszustands in Polen.

Im Rahmen einer als privat bezeichneten Reise in die Tschechoslowakei, Polen und in die DDR trifft der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß mit Erich Honecker im Schloss Hubertusstock am Werbellinsee zusammen.

August

Fastenaktionen in verschiedenen Städten der DDR im Gedenken an den ersten Atombombenabwurf über Hiroshima.

September

Eine Blockade des US-Militärdepots in Mutlangen durch prominente Rüstungsgegner bildet den Auftakt zu Protesten gegen die Stationierung der Pershing-II-Raketen in der Bundesrepublik.

Zwischen der amerikanischen und der sowjetischen Botschaft in Berlin wird der Versuch unternommen, eine Kerzenkette zu bilden. Zum Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs appellieren in einem gemeinsamen Brief die Evangelischen Kirchen der Bundesrepublik und der DDR an die Regierungschefs der beiden deutschen Staaten, zusammen mit ihren jeweiligen Verbündeten am Abbau der Rüstung weiterzuarbeiten.

Erster Empfang eines Regierenden Bürgermeisters von West-Berlin, Richard von Weizsäcker, durch den Staats- und Parteichef der DDR, Erich Honecker, in Ost-Berlin. Die „Verordnung zur Reglung von Fragen der Familienzusammenführung und der Eheschließung zwischen Bürgern der DDR und Ausländern“ tritt in Kraft. Erstmals wird damit ein Antragsrecht auf Ausreise geregelt.

Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft

Seit Anfang der 1980er Jahre sieht man nicht selten Aufnäher mit der Aufschrift "Schwerter zu Pflugscharen". Getreu dem Motto der Friedensbewegung in der DDR formt der Schmied Stefan Nau im Rahmen eines Kirchentages in Wittenberg am 24. September 1983 ein Schwert in ein Winzermesser um.
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Zum 30-jährigen Bestehen der Kampfgruppen der DDR marschieren 10.000 Angehörige der Betriebskampfgruppen mit roten Fahnen durch Berlin.

Oktober

In einem Gespräch mit österreichischen Journalisten gibt Erich Honecker erstmals die Existenz von Selbstschussanlagen an der innerdeutschen Grenze zu. Gleichzeitig kündigt er deren Abbau an. Die Arbeiten werden am 30. November 1984 beendet.

Die Friedensbewegung veranstaltet eine bundesweite Aktionswoche.

50 Frauen der Gruppe Frauen für den Frieden geben in Berlin beim Hauptpostamt ihre Erklärung ab, dass sie ihre Erfassung zum Wehrdienst verweigern.

Erste Delegationsreise der Grünen in die DDR. Petra Kelly überredet Erich Honecker zum Abschluss eines persönlichen Friedensvertrags.

In Beirut, Libanon, werden durch einen Anschlag auf einen amerikanischen Stützpunkt mehr als 240 US-Soldaten getötet.

Die DDR stimmt der Stationierung sowjetischer Mittelstreckenraketen auf ihrem Staatsgebiet zu. Der Rockmusiker Udo Lindenberg gibt mit seinem Panikorchester ein Konzert in Berlin.

US-amerikanische Truppen besetzen die Karibik-Insel Grenada, um die dort seit 1979 herrschende sozialistische Regierung zu stürzen.

Am 31. Oktober 1983 empfängt Erich Honecker die unbequemen Bundestagsabgeordneten der Grünen Dirk Schneider (mit Friedensvertrag), Otto Schily, Gert Bastian und Petra Kelly (v.l.n.r.). Sie überreichen Erich Honecker einen Persönlichen Friedensvertrag. Quelle: ArchivStAufarb, Bestand Klaus Mehner, 83_1031_POL_Gruene_07

Erstmals trifft sich eine Delegation der Bundestagsfraktion der Grünen mit Erich Honecker in Ost-Berlin. Die SED stimmt diesem Treffen aus propagandistischen Gründen zu und will Einvernehmen im Kampf gegen Kapitalismus und Aufrüstung demonstrieren. Die Grünen sprechen aber die Menschenrechtsverletzungen in der DDR an und besuchen während ihres offiziellen Besuchs DDR-Oppositionelle privat. Bei einem Treffen mit Erich Honecker überreichen die Vertreter der Grünen dem Generalsekretär des ZK der SED einen persönlichen Friedensvertrag. Sie folgen damit dem Beispiel zahlreicher Friedensaktivisten in Ost und West, die sich gegenseitig den Frieden erklären.
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Erstmals trifft sich eine Delegation der Bundestagsfraktion der Grünen mit Erich Honecker in Ost-Berlin. Die SED stimmt diesem Treffen aus propagandistischen Gründen zu und will Einvernehmen im Kampf gegen Kapitalismus und Aufrüstung demonstrieren. Die Grünen sprechen aber die Menschenrechtsverletzungen in der DDR an und besuchen während ihres offiziellen Besuchs DDR-Oppositionelle privat.

November

Die Übergabe von Petitionen an die Ost-Berliner Botschaften von SU und USA von bundesdeutschen Grünen und unabhängigen Friedensgruppen der DDR scheitert am massiven Polizeieinsatz. Zwei Abgeordnete der Grünen werden nach West-Berlin abgeschoben.

Friedensdekade unter dem Thema „Frieden schaffen aus der Kraft der Schwachen“.

Auf einem Sonderparteitag der SPD stimmen 583 Delegierte gegen die Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik.

Der Bundestag entscheidet sich für die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik.

Die sowjetische Delegation bricht die INF-Verhandlungen (Intermediate Range Nuclear Forces) in Genf ab, deren Ziel die Vernichtung nuklearer Mittelstreckenraketen ist.

Erich Honecker kritisiert den Stationierungsbeschluss des Bundestags scharf, erklärt aber zugleich seine Bereitschaft, die deutsch-deutschen Beziehungen auf ein normales Gleis zu bringe.

In der Bundesrepublik treffen die ersten Pershing-II-Raketen ein. Sie werden zum US-Militärdepot Mutlangen gebracht.

Das Zentralkomitee der SED wählt Egon Krenz in das SED-Politbüro.

Dezember

Der Führer der polnischen Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc, Lech Walesa, wird für seinen Kampf um die Rechte der Arbeiter mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Der polnische Rundfunk kommentiert die Entscheidung als „antipolnische Aggression“.

Ulrike Poppe und Bärbel Bohley von der Initiative Frauen für den Frieden werden verhaftet und erst nach internationalem Protest am 25. Januar 1984 freigelassen.

Das Bundesverfassungsgericht verkündet das Volkszählungsurteil, in dem das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Bürger erklärt wird. Hunderte Bürgerinitiativen haben zuvor zum Boykott der Volkszählung aufgerufen.

Zwischen der DDR-Reichsbahn und dem Senat von West-Berlin wird die Übernahme der S-Bahn auf Westberliner Gebiet durch den Berliner Senat vereinbart.


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