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Sputnik-Verbot

Der SED ist die Zeitschrift zu realistisch: Die verbotene Ausgabe des Sputniks vom Oktober 1988. Quelle: Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
Der SED ist die Zeitschrift zu realistisch: Die verbotene Ausgabe des Sputniks vom Oktober 1988. Quelle: Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
„Beschweren Sie sich“: Über Tage und Wochen manifestiert sich im ganzen Land der meist unorganisierte Protest gegen das Verbot der Zeitschrift Sputnik. Im Bild: ein von Unbekannten angefertigter Handzettel gegen das Verbot. Quelle: BStU, MfS, BV...
„Beschweren Sie sich“: Über Tage und Wochen manifestiert sich im ganzen Land der meist unorganisierte Protest gegen das Verbot der Zeitschrift Sputnik. Im Bild: ein von Unbekannten angefertigter Handzettel gegen das Verbot. Quelle: BStU, MfS, BV Berlin Abt. XX Nr. 3791
Ein von Unbekannten angefertigter Handzettel gegen das Verbot der Zeitschrift Sputnik. Im Bild: Erich Honecker (links) und Michail Gorbatschow. Quelle: BStU, MfS, BV Berlin Abt. XX Nr. 3791
Ein von Unbekannten angefertigter Handzettel gegen das Verbot der Zeitschrift Sputnik. Im Bild: Erich Honecker (links) und Michail Gorbatschow. Quelle: BStU, MfS, BV Berlin Abt. XX Nr. 3791
Klares Statement: Das Sputnik-Graffiti auf der Straße zwischen Ortmannsdorf und Härtensdorf. Es wird von Stefan Eisenblätter und seinen Freunden Carsten Kunze und Ralf Siebdraht (Schüler der zehnten Klasse) im sächsischen Ortmannsdorf auf den Asphalt...
Klares Statement: Das Sputnik-Graffiti auf der Straße zwischen Ortmannsdorf und Härtensdorf. Es wird von Stefan Eisenblätter und seinen Freunden Carsten Kunze und Ralf Siebdraht (Schüler der zehnten Klasse) im sächsischen Ortmannsdorf auf den Asphalt gepinselt. Tatzeit: in der Nacht vom 6. auf den 7. März 1989. Quelle: BStU, MfS, Ast Chemnitz, Zw 242
Handzettel von Stefan Eisenblätter und seinen Freunden Carsten Kunze und Ralf Siebdraht: So protestieren die Schüler der zehnten Klasse im sächsischen Ortmannsdorf (bei Zwickau) gegen das Sputnik-Verbot. Quelle: BStU, MfS, Ast Chemnitz, Zw 242
Handzettel von Stefan Eisenblätter und seinen Freunden Carsten Kunze und Ralf Siebdraht: So protestieren die Schüler der zehnten Klasse im sächsischen Ortmannsdorf (bei Zwickau) gegen das Sputnik-Verbot. Quelle: BStU, MfS, Ast Chemnitz, Zw 242
Mit einem Stempelkasten fertigen Stefan Eisenblätter und seine Freunde Carsten Kunze und Ralf Siebdraht, Schüler der zehnten Klasse, im sächsischen Ortmannsdorf nahe Zwickau kleine Handzettel, mit denen sie zur gesellschaftlichen Umgestaltung in der...
Mit einem Stempelkasten fertigen Stefan Eisenblätter und seine Freunde Carsten Kunze und Ralf Siebdraht, Schüler der zehnten Klasse, im sächsischen Ortmannsdorf nahe Zwickau kleine Handzettel, mit denen sie zur gesellschaftlichen Umgestaltung in der DDR aufrufen. Quelle: BStU, MfS, Ast Chemnitz, Zw 242
17. Januar 1989, Bericht der Volkspolizei Zwickau nach dem Auffinden des Zettels „Umgestaltung – wann bei uns?“.
17. Januar 1989, Bericht der Volkspolizei Zwickau nach dem Auffinden des Zettels „Umgestaltung – wann bei uns?“.
Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft (BStU-Kopie) Abschrift
„21 Jahre Prager Frühling“: Stefan Eisenblätter und seine Freunde Carsten Kunze und Ralf Siebdraht erinnern mit diesem Plakat an die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 durch Truppen des Warschauer Vertrags. Sie überkleben damit ein Fernstraßenschild...
„21 Jahre Prager Frühling“: Stefan Eisenblätter und seine Freunde Carsten Kunze und Ralf Siebdraht erinnern mit diesem Plakat an die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 durch Truppen des Warschauer Vertrags. Sie überkleben damit ein Fernstraßenschild außerhalb ihres Heimatdorfs Ortmannsdorf. Quelle: BStU, MfS, Ast Chemnitz, Zw 242
„Biete Sputnik, suche Stalin“: Selbst der kleinste Zettel mit einer Anspielung aufs Sputnik-Verbot wird von der Stasi sichergestellt (1988). Quelle: Bundesarchiv / Stasi-Unterlagen-Archiv
„Biete Sputnik, suche Stalin“: Selbst der kleinste Zettel mit einer Anspielung aufs Sputnik-Verbot wird von der Stasi sichergestellt (1988). Quelle: Bundesarchiv / Stasi-Unterlagen-Archiv
„Ohne Offenheit gibt es keine Demokratie“: Ein Zitat des sowjetischen Staatschefs Michail Gorbatschow wird zum Flugblatt (1988). Quelle: Bundesarchiv / Stasi-Unterlagen-Archiv
„Ohne Offenheit gibt es keine Demokratie“: Ein Zitat des sowjetischen Staatschefs Michail Gorbatschow wird zum Flugblatt (1988). Quelle: Bundesarchiv / Stasi-Unterlagen-Archiv
Abschrift
Weil er sich mit dem Verbot des Sputnik nicht abfinden will, schreibt Christian Sachse eine Eingabe an das Zentralkomitee des SED. Quelle: Privat-Archiv Christian Sachse
Weil er sich mit dem Verbot des Sputnik nicht abfinden will, schreibt Christian Sachse eine Eingabe an das Zentralkomitee des SED. Quelle: Privat-Archiv Christian Sachse
Comic von Dirk Moldt zum Sputnik-Verbot. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Dirk Moldt
Comic von Dirk Moldt zum Sputnik-Verbot. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Dirk Moldt
Das Verbot des Sputniks war nur der Anfang. Die Behörden streichen Sowjetische Filme aus dem Kino-Programm, weil sie der SED politisch nicht ins Konzept passen. Protestschreiben des Weißenseer Friedenskreises gegen die Streichung von Sowjetischen Kinofilmen...
Das Verbot des Sputniks war nur der Anfang. Die Behörden streichen Sowjetische Filme aus dem Kino-Programm, weil sie der SED politisch nicht ins Konzept passen. Protestschreiben des Weißenseer Friedenskreises gegen die Streichung von Sowjetischen Kinofilmen vom 24. November 1988. Quelle: BStU, MfS, AOP 1224/91, Bl. 299
Aus Protest gegen die Streichung von fünf Sowjetischen Spielfilmen ruft der Weißenseer Friedenskreis zum Kino-Boykott auf. Quelle: BStU, MfS, AOP 1224/91, Bl. 300
Aus Protest gegen die Streichung von fünf Sowjetischen Spielfilmen ruft der Weißenseer Friedenskreis zum Kino-Boykott auf. Quelle: BStU, MfS, AOP 1224/91, Bl. 300

Die sowjetische Zeitschrift Sputnik (russisch für Satellit, Reisegefährte) gibt es seit 1967. Sie erscheint sowohl in der UdSSR als auch im sozialistischen und westlichen Ausland. Wegen des großen Leserkreises verzichtet man in den Heften weitgehend auf die sonst übliche sozialistische Rhetorik und bearbeitet ein breites Themenspektrum. Der Leser erfährt vieles über Politik, Kultur und Gesellschaft des riesigen sowjetischen Landes. Berichte über die Eigenheiten der unterschiedlichen Nationalitäten erscheinen ebenso wie geographische Beschreibungen und politische Kommentare.

Die im A5-Format erscheinende Hochglanzzeitschrift widmet sich mit Beginn der Perestroika ab Mitte der 1980er Jahre auch verstärkt der politischen Aufarbeitung der sowjetischen Geschichte. Es werden kritische Beiträge zu den KPdSU-Größen Josef Stalin und Leonid Breschnew verfasst. Vormals verbotene Schriftsteller dürfen nun ihre Texte im Sputnik veröffentlichen.

Das Interesse am Sputnik nimmt in der DDR immer mehr zu – und zwar in dem Maße, in dem die Beiträge systemkritischer werden. Die DDR-Führung tut sich zunächst schwer, gegen die Zeitschrift aus dem großen Bruderland vorzugehen. Als aber in der Ausgabe von November 1988 ein Artikel über den in der DDR-Geschichtsschreibung geleugneten Hitler-Stalin-Pakt sowie eine Kritik an der stalinhörigen KPD der 1920er Jahre erscheint, entschließen sich die SED-Funktionäre zum Handeln. Ein weiterer Vertrieb der Zeitschrift wird in der DDR untersagt. Das Heft wird eingezogen und eingestampft. Zur offiziellen Begründung heißt es, dass die Zeitschrift „keinen Beitrag bringt, der der Festigung der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft dient, stattdessen verzerrende Beiträge zur Geschichte“.

Sputnik: Eine fortschrittliche Zeitung aus der Sowjetunion

Das Verbot der Zeitschrift erzeugt vielfachen Protest. Der kommt von staatsnahen Organisationen wie der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF) ebenso wie von Oppositionsgruppen und einzelnen Bürgern. Über Tage und Wochen manifestiert sich der meist unorganisierte, spontane Protest in heimlich gemalten Schriftzügen an Häuserwänden und auf Straßen, auf Zetteln, Plakaten und Flugblättern.

Immer mehr Menschen lehnen sich mit solchen Aktionen gegen die ideologisch verbohrte Partei- und Staatsführung auf. Die Berliner Umweltblätter melden in ihrer Ausgabe vom Dezember 1988 das Sputnik-Verbot und berichten über die DDR-weiten Proteste dagegen. Zudem veröffentlichen sie die kritischen Artikel der Sputnik-Oktoberausgabe 1988.

Die Sicherheitsorgane nehmen selbst den kleinsten Widerspruch gegen die Parteilinie ernst (Bildergalerie). Im Dorf Mülsen findet beispielsweise zu Jahresbeginn 1989 ein entsetzter Dorfpolizist auf einem Anschlagbrett einen Streifen Tapete mit der Aufschrift „Sputnik“.

Jede Menge Arbeit nach dem Sputnik-Verbot: Die Stasi sammelt alle Informationen über Proteste von Jugendlichen gegen das Verbot der sowjetischen Zeitschrift. Quelle: Bundesarchiv / Stasi-Unterlagen-Archiv, Seite 1 von 6
Jede Menge Arbeit nach dem Sputnik-Verbot: Die Stasi sammelt alle Informationen über Proteste von Jugendlichen gegen das Verbot der sowjetischen Zeitschrift. Quelle: Bundesarchiv / Stasi-Unterlagen-Archiv, Seite 1 von 6
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Jede Menge Arbeit nach dem Sputnik-Verbot: Die Stasi sammelt alle Informationen über Proteste von Jugendlichen gegen das Verbot der sowjetischen Zeitschrift. Quelle: Bundesarchiv / Stasi-Unterlagen-Archiv, Seite 2 von 6
Jede Menge Arbeit nach dem Sputnik-Verbot: Die Stasi sammelt alle Informationen über Proteste von Jugendlichen gegen das Verbot der sowjetischen Zeitschrift. Quelle: Bundesarchiv / Stasi-Unterlagen-Archiv, Seite 2 von 6
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Jede Menge Arbeit nach dem Sputnik-Verbot: Die Stasi sammelt alle Informationen über Proteste von Jugendlichen gegen das Verbot der sowjetischen Zeitschrift. Quelle: Bundesarchiv / Stasi-Unterlagen-Archiv, Seite 3 von 6
Jede Menge Arbeit nach dem Sputnik-Verbot: Die Stasi sammelt alle Informationen über Proteste von Jugendlichen gegen das Verbot der sowjetischen Zeitschrift. Quelle: Bundesarchiv / Stasi-Unterlagen-Archiv, Seite 3 von 6
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Jede Menge Arbeit nach dem Sputnik-Verbot: Die Stasi sammelt alle Informationen über Proteste von Jugendlichen gegen das Verbot der sowjetischen Zeitschrift. Quelle: Bundesarchiv / Stasi-Unterlagen-Archiv, Seite 4 von 6
Jede Menge Arbeit nach dem Sputnik-Verbot: Die Stasi sammelt alle Informationen über Proteste von Jugendlichen gegen das Verbot der sowjetischen Zeitschrift. Quelle: Bundesarchiv / Stasi-Unterlagen-Archiv, Seite 4 von 6
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Jede Menge Arbeit nach dem Sputnik-Verbot: Die Stasi sammelt alle Informationen über Proteste von Jugendlichen gegen das Verbot der sowjetischen Zeitschrift. Quelle: Bundesarchiv / Stasi-Unterlagen-Archiv, Seite 5 von 6
Jede Menge Arbeit nach dem Sputnik-Verbot: Die Stasi sammelt alle Informationen über Proteste von Jugendlichen gegen das Verbot der sowjetischen Zeitschrift. Quelle: Bundesarchiv / Stasi-Unterlagen-Archiv, Seite 5 von 6
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Jede Menge Arbeit nach dem Sputnik-Verbot: Die Stasi sammelt alle Informationen über Proteste von Jugendlichen gegen das Verbot der sowjetischen Zeitschrift. Quelle: Bundesarchiv / Stasi-Unterlagen-Archiv, Seite 6 von 6
Jede Menge Arbeit nach dem Sputnik-Verbot: Die Stasi sammelt alle Informationen über Proteste von Jugendlichen gegen das Verbot der sowjetischen Zeitschrift. Quelle: Bundesarchiv / Stasi-Unterlagen-Archiv, Seite 6 von 6
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Auch im März entdecken Ordnungshüter den Schriftzug auf einer kleinen Landstraße Richtung Härtensdorf: mit weißer Farbe auf den Asphalt gepinselt. Stasi und Kriminalpolizei werden eingeschaltet, die Tatorte fotografiert und genau vermessen. Die Ordnungshüter finden lediglich Farbbüchse und Pinsel, die ein Stück weiter im Straßengraben liegen. Ihre Versuche, den Schriftzug unleserlich zu machen, indem sie ihn mit Teer nachziehen, führen nur dazu, dass dieser noch eine Weile erkennbar bleibt. Alle, die das Wort lesen, wissen: Es geht um viel mehr als nur um eine Monatszeitschrift. Es geht um die allgemeine Presse- und Meinungsfreiheit.

Urheber der provokanten Straßenbotschaft sind Stefan Eisenblätter und seine Freunde Carsten Kunze und Ralf Siebdraht, Schüler der zehnten Klasse im sächsischen Ortmannsdorf unweit von Zwickau. Das ist noch nicht alles. In ihrer ersten illegalen Aktion kleben sie selbst gemachte Plakate mit kurzen Parolen wie „Umgestaltung – Wann bei uns?" sowie „Glasnost – Perestroika“ an Anschlagtafeln in ihrem Dorf sowie den umliegenden Gemeinden Härtensdorf und Mülsen St. Niclas.

Sputnik-Verbot: Schon kleine Pinseleien provozieren die Partei

Es soll nicht die letzte Wortmeldung der Zehntklässler bleiben. Mit einem Stapel Staatsbürgerkunde-Lehrbücher, vor die St. Niclaser Schule geworfen, wollen sie Schüler und Lehrer zum Nachdenken anregen. Ein Fernstraßenschild außerhalb von Ortmannsdorf überkleben sie mit einem großen Plakat: zur Erinnerung an den Prager Frühling und dessen Niederschlagung anlässlich des 21. Jahrestags der Ereignisse.

Die aufwändigste Aktion der Freunde erfordert wochenlange Vorbereitung: Stefan Eisenblätter bedruckt Papier mit Forderungen zur gesellschaftlichen Umgestaltung der DDR und zerschneidet es in kleine Handzettel. Der Stempel kommt aus einem Spielzeug-Stempelkasten. Aus weißer Folie bastelt er einen exakten Überzug für das Nummernschild von Carsten Kunzes Motorrad. Carsten Kunze fährt seine MZ ES 150 daraufhin durch den Mülsengrund bis nach Mülsen St. Jacob. Währenddessen wirft Stefan Eisenblätter vom Rücksitz die Zettel ab. Als der Rucksack leer ist, entledigen sie sich der Nummernschild-Attrappe und kommen in großem Bogen wieder in ihr Heimatdorf zurück. Das kleine Widerstandsnest bleibt unentdeckt.

Die wachsende Angst des Staates selbst vor dem geringsten Widerspruch zeigt im Rückblick, auf welch wackeligen Füßen das DDR-Regime kurz vor der Revolution von 1989 stand.

Zitierempfehlung: „Sputnik-Verbot“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung Dezember 2019, www.jugendopposition.de/145326

 


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