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Kontext

Kritischer Besuch: Der iranische Schah Reza Pahlevi hält sich vom 27. Mai bis 4. Juni 1967 zu einem Staatsbesuch in der Bundesrepublik auf. In dieser Zeit kommt es in vielen deutschen Städten, besonders in Berlin, zu heftigen Demonstrationen gegen sein...
Kritischer Besuch: Der iranische Schah Reza Pahlevi hält sich vom 27. Mai bis 4. Juni 1967 zu einem Staatsbesuch in der Bundesrepublik auf. In dieser Zeit kommt es in vielen deutschen Städten, besonders in Berlin, zu heftigen Demonstrationen gegen sein Regime. Am 2. Juni 1967 demonstrieren Tausende, meist junge Menschen vor dem Rathaus Schöneberg gegen den Schah-Besuch. Bei einer weiteren Anti-Schah-Demo am Abend des 2. Juni 1967 vor der Deutschen Oper erschießt Kriminalobermeister Karl-Heinz Kurras den Studenten Benno Ohnesorg – unter ungeklärten Umständen. Quelle: REGIERUNGonline/Klaus Lehnartz
1990 wird das Relief „Tod des Demonstranten“ von Alfred Hrdlicka zum Gedenken an den Tod von Benno Ohnesorg enthüllt. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Gerald Zörner
1990 wird das Relief „Tod des Demonstranten“ von Alfred Hrdlicka zum Gedenken an den Tod von Benno Ohnesorg enthüllt. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Gerald Zörner
Am Tag des internationalen Protestes gegen den Krieg in Vietnam (21. Oktober 1967) demonstrieren über 10.000 Menschen auf dem Kurfürstendamm in West-Berlin. Quelle: REGIERUNGonline
Am Tag des internationalen Protestes gegen den Krieg in Vietnam (21. Oktober 1967) demonstrieren über 10.000 Menschen auf dem Kurfürstendamm in West-Berlin. Quelle: REGIERUNGonline
Rudi Dutschke, einer der führenden Köpfe der Außerparlamentarischen Opposition, spricht am 17. Februar 1968 zu Teilnehmern eines Internationalen Vietnamkongresses an der Berliner Technischen Universität. Dieser Kongress richtet sich gegen den Vietnamkrieg...
Rudi Dutschke, einer der führenden Köpfe der Außerparlamentarischen Opposition, spricht am 17. Februar 1968 zu Teilnehmern eines Internationalen Vietnamkongresses an der Berliner Technischen Universität. Dieser Kongress richtet sich gegen den Vietnamkrieg und ruft zur Solidarisierung mit den vietnamesischen Revolutionären auf. Quelle: REGIERUNGonline/Klaus Lehnartz
Rudi Dutschke (Mitte) nimmt am 18. Februar 1968 an einer Demonstration gegen das amerikanische Engagement im Vietnamkrieg teil. Rechts neben ihm sein Mitstreiter Gaston Salvatore. Quelle: REGIERUNGonline/Klaus Lehnartz
Rudi Dutschke (Mitte) nimmt am 18. Februar 1968 an einer Demonstration gegen das amerikanische Engagement im Vietnamkrieg teil. Rechts neben ihm sein Mitstreiter Gaston Salvatore. Quelle: REGIERUNGonline/Klaus Lehnartz
Am 11. April 1968 verübt der Hilfsarbeiter Josef Bachmann ein Attentat auf Rudi Dutschke. Bachmann erwartet ihn vor dem SDS-Büro und feuert drei Schüsse aus einer Pistole auf ihn ab. Rudi Dutschke überlebt das Attentat schwer verletzt. Er stirbt elf...
Am 11. April 1968 verübt der Hilfsarbeiter Josef Bachmann ein Attentat auf Rudi Dutschke. Bachmann erwartet ihn vor dem SDS-Büro und feuert drei Schüsse aus einer Pistole auf ihn ab. Rudi Dutschke überlebt das Attentat schwer verletzt. Er stirbt elf Jahre später an den Folgen. Am Ort des Anschlags vor dem Haus Kurfürstendamm 141 wird 1990 eine Gedenktafel enthüllt. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Gerald Zörner
Am 6. April 1968 findet der Volksentscheid zur neuen Verfassung der DDR statt. Angeblich stimmen 94,5 Prozent der Bürger der neuen Verfassung zu. Die Qualität des Volksentscheids unterscheidet sich kaum von den üblichen Praktiken bei Wahlen in der...
Am 6. April 1968 findet der Volksentscheid zur neuen Verfassung der DDR statt. Angeblich stimmen 94,5 Prozent der Bürger der neuen Verfassung zu. Die Qualität des Volksentscheids unterscheidet sich kaum von den üblichen Praktiken bei Wahlen in der DDR. In Artikel 1 der Verfassung wird die „führende Rolle“ der SED festgeschrieben. Die Grundrechte der Bürger werden durch Grundpflichten – und ein zur selben Zeit verabschiedetes neues sozialistisches Strafrecht – systematisch begrenzt. Im Bild: Von der SED organisierte Demonstration am 5. April 1968 vor der Humboldt-Universität Unter den Linden, welche die Zustimmung der Bevölkerung zur neuen Verfassung unterstreichen soll. Quelle: Bundesarchiv/183-G0405-0028-001/Eva Brüggemann
Während eines Staatsaktes unterzeichnet am 8. April 1968 der DDR-Staats- und Parteichef Walter Ulbricht die neue Verfassung der DDR. Quelle: Bundesarchiv/183-G0408-0038-001/Horst Sturm
Während eines Staatsaktes unterzeichnet am 8. April 1968 der DDR-Staats- und Parteichef Walter Ulbricht die neue Verfassung der DDR. Quelle: Bundesarchiv/183-G0408-0038-001/Horst Sturm
Das Kuratorium "Notstand der Demokratie" und die "Kampagne für Demokratie und Abrüstung" organisieren am 11. Mai 1968 einen Sternenmarsch auf Bonn, um gegen die Notstandsgesetzgebung der Großen Koalition zu protestieren. Diese sieht eine Einschränkung...
Das Kuratorium "Notstand der Demokratie" und die "Kampagne für Demokratie und Abrüstung" organisieren am 11. Mai 1968 einen Sternenmarsch auf Bonn, um gegen die Notstandsgesetzgebung der Großen Koalition zu protestieren. Diese sieht eine Einschränkung der Grundrechte in Notstandszeiten vor. Quelle: REGIERUNGonline/Engelbert Reinecke
Die 1966 in der Bundesrepublik gebildete Große Koalition aus CDU/CSU und SPD verabschiedet am 30. Mai 1968 gegen langjährigen Widerstand die sogenannten Notstandsgesetze. Sie regeln unter anderem den Einsatz der Bundeswehr bei inneren Unruhen. Viele...
Die 1966 in der Bundesrepublik gebildete Große Koalition aus CDU/CSU und SPD verabschiedet am 30. Mai 1968 gegen langjährigen Widerstand die sogenannten Notstandsgesetze. Sie regeln unter anderem den Einsatz der Bundeswehr bei inneren Unruhen. Viele tausend Studenten der Münchener Universität protestieren am 15. Mai 1968 gegen Pläne der Bundesregierung zur Einführung der Notstandsgesetze. Quelle: Bundesarchiv/183-G0516-0044-001
Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger bei der Debatte über die Notstandsgesetzgebung im Bundestag. Nach einer dritten Lesung können die Notstandsgesetze mit den Stimmen von CDU/CSU und einer Mehrheit der SPD verabschiedet werden. Diese sehen in Notstandszeiten...
Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger bei der Debatte über die Notstandsgesetzgebung im Bundestag. Nach einer dritten Lesung können die Notstandsgesetze mit den Stimmen von CDU/CSU und einer Mehrheit der SPD verabschiedet werden. Diese sehen in Notstandszeiten eine Einschränkung der Grundrechte vor. Quelle: REGIERUNGonline/Jens Gathmann
Als erster sozialdemokratischer Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland wird Willy Brandt am 26. Oktober 1969 im Deutschen Bundestag von Bundestagspräsident Kai-Uwe von Hassel vereidigt. Quelle: REGIERUNGonline/Jens Gathmann
Als erster sozialdemokratischer Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland wird Willy Brandt am 26. Oktober 1969 im Deutschen Bundestag von Bundestagspräsident Kai-Uwe von Hassel vereidigt. Quelle: REGIERUNGonline/Jens Gathmann
„Das Ding muss weg!“, befiehlt der in Leipzig geborene Walter Ulbricht und meint damit die im Krieg nur leicht beschädigte Leipziger Universitätskirche. Damit ist das Schicksal des 1240 vom Dominikanerorden eingeweihten und seit 1545 als evangelische...
„Das Ding muss weg!“, befiehlt der in Leipzig geborene Walter Ulbricht und meint damit die im Krieg nur leicht beschädigte Leipziger Universitätskirche. Damit ist das Schicksal des 1240 vom Dominikanerorden eingeweihten und seit 1545 als evangelische Universitätskirche genutzten Bauwerks entschieden. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft
Die Leipziger Universitätskirche steht Walter Ulbrichts Vorstellungen von einem modernen Zentrum der Universitäts- und Messestadt im Wege. Trotz zahlreicher Proteste (auch im DDR-Verwaltungsapparat) wird das wertvolle historische Bauwerk am 30. Mai...
Die Leipziger Universitätskirche steht Walter Ulbrichts Vorstellungen von einem modernen Zentrum der Universitäts- und Messestadt im Wege. Trotz zahlreicher Proteste (auch im DDR-Verwaltungsapparat) wird das wertvolle historische Bauwerk am 30. Mai 1968 gesprengt. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft
Die Stadtverordnetenversammlung von Leipzig stimmt der Vernichtung der Kirche mit nur einer Gegenstimme zu. Heimlich fotografieren zwei Leipziger Studenten die Sprengung der Universitätskirche. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft
Die Stadtverordnetenversammlung von Leipzig stimmt der Vernichtung der Kirche mit nur einer Gegenstimme zu. Heimlich fotografieren zwei Leipziger Studenten die Sprengung der Universitätskirche. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft
Heimlich fotografieren zwei Leipziger Studenten die Sprengung der Universitätskirche. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft
Heimlich fotografieren zwei Leipziger Studenten die Sprengung der Universitätskirche. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft
Ein Bild mit Symbolkraft: Karl Marx vor den Trümmern der soeben gesprengten Universitätskirche. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft
Ein Bild mit Symbolkraft: Karl Marx vor den Trümmern der soeben gesprengten Universitätskirche. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft
Im Sommer 1968 bereitet der Einmarsch von Truppen des Warschauer Paktes dem Prager Frühling ein gewaltsames Ende. In den Straßen der tschechoslowakischen Hauptstadt kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen mit den Besatzungstruppen. Quelle: Bundesarchiv...
Im Sommer 1968 bereitet der Einmarsch von Truppen des Warschauer Paktes dem Prager Frühling ein gewaltsames Ende. In den Straßen der tschechoslowakischen Hauptstadt kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen mit den Besatzungstruppen. Quelle: Bundesarchiv / Stasi-Unterlagen-Archiv, MfS HA IX/2854, S. 29
Die blutige Niederschlagung des Prager Frühlings im August 1968 erschüttert in vielen Menschen den Glauben an einen demokratischen Sozialismus tief. In der DDR kommt es zu spontanen Solidaritätsbekundungen mit den von Alexander Dubcek eingeleiteten...
Die blutige Niederschlagung des Prager Frühlings im August 1968 erschüttert in vielen Menschen den Glauben an einen demokratischen Sozialismus tief. In der DDR kommt es zu spontanen Solidaritätsbekundungen mit den von Alexander Dubcek eingeleiteten Reformen. Quelle: BStU, MfS, Ast 102/83 HA Bd.1, S.34
Bundeskanzler Willy Brandt legte am 7. Dezember 1970 vor dem Ehrenmal der Helden des Ghettos in Warschau einen Kranz nieder. Nach der Kranzniederlegung kniet er einige Zeit schweigend nieder. Das Foto vom Kniefall in Warschau geht um die Welt und wird...
Bundeskanzler Willy Brandt legte am 7. Dezember 1970 vor dem Ehrenmal der Helden des Ghettos in Warschau einen Kranz nieder. Nach der Kranzniederlegung kniet er einige Zeit schweigend nieder. Das Foto vom Kniefall in Warschau geht um die Welt und wird zum Symbol für die Aussöhnung zwischen Polen und Deutschland. Quelle: REGIERUNGonline/Engelbert Reinecke

Internationales Geschehen

In den 1960er Jahren begehren junge Menschen überall auf der Welt gegen überkommene Moralvorstellungen und ideologische Dogmen auf. Was die vielen widerstreitenden Richtungen eint, ist die Unzufriedenheit mit den politischen und gesellschaftlichen Zuständen sowie ein Glaube an die Veränderbarkeit der Welt. Das neue Lebensgefühl drückt sich in der Musik, der Mode und der Politik aus. Begleitet von klaren Aussagen gegen den Vietnamkrieg, ist das Woodstock-Musikfestival im August 1969 ein Höhepunkt der amerikanischen Hippiebewegung.

Von den USA ausgehend, entwickeln linke und Bürgerrechtsgruppen neue Formen des Protests. Durch ihre Technik der intelligenten Provokation verhelfen sie Minderheiten zu einer großen medialen Präsenz. Selbst die Olympiade in Mexico-City im September 1968 wird zum Podium: Schwarze US-Sportler versagen ihrer Nationalflagge demonstrativ die Ehrung und erheben die geballte Faust zum Black-Panther-Gruß. In den Jahren 1967 und 1968 gipfelt die Protestbewegung in vielen Ländern in einer Studentenrevolte. Bilder der Barrikadenkämpfe im Pariser Quartier Latin im Mai 1968 prägen die Jugend- und Studentenproteste in Westeuropa ebenso wie die Ermordung des schwarzen amerikanischen Bürgerrechtlers Martin Luther King am 4. April 1968.

In Griechenland, seit 1952 Mitglied des westlichen Verteidigungs-Bündnisses NATO, ergreifen im April 1967 Militärs die Macht. In der Jugendpolitik führt die neue Regierung einen heftigen Kampf gegen westliche Beatmusik und lange Haare. Die Militärdiktatur endet 1974. Wegen der strategischen Bedeutung Griechenlands setzen sich die Bundesrepublik Deutschland und andere westliche Staaten für den Verbleib Griechenlands in der NATO ein.

In Nigeria tobt unterdessen ein blutiger Sezessionskrieg, nachdem sich im Mai 1967 die Provinz Biafra für unabhängig erklärt hat. Der Krieg wird bis 1970 über 2,5 Millionen Opfer kosten. Großbritannien, die USA und die Sowjetunion beliefern die Zentralregierung mit Waffen. Biafra hingegen erhält von China und Frankreich Waffen.

In Warschau demonstrieren Studenten im März 1968 für mehr Freiheit. Die Hardliner der kommunistischen Führung nehmen dies zum Anlass für eine antisemitische Kampagne, die viele Polen jüdischer Herkunft zur Auswanderung nach Israel zwingt. In der Tschechoslowakei beginnt ein Reformprozess, der als Prager Frühling in die Geschichte eingeht. Die sozialistischen Staaten versuchen, die Führung in Prag unter Druck zu setzen. Doch die Aufbruchsbewegung hat längst zu viel Eigendynamik bekommen. Am 21. August 1968 besetzen Truppen des Warschauer Paktes die CSSR. Vorwand ist ein Hilferuf der sowjettreuen Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei. Das Volk steht gewaltlos und einmütig gegen die Besatzer. Truppen der DDR sind am Einmarsch – bis auf einige Verbindungsoffiziere – nicht beteiligt, stehen aber in Bereitschaftsstellung.

Bundesrepublik Deutschland

Während der Anti-Schah-Demonstration in West-Berlin im Juni 1967 erschießt ein Polizist den Studenten Benno Ohnesorg. Das ist der Moment, an dem die bis dahin meist friedlichen Proteste in der Bundesrepublik umschlagen. Studenten ziehen mit roten Fahnen und Bildern kommunistischer Parteiführer durch die Straßen West-Berlins. Anlässlich eines Vietnam-Kongresses in West-Berlin kommt es am 18. Februar 1968 zu einer großen Anti-Vietnamkrieg-Demonstration, der am 21. Februar eine Gegendemonstration der Berliner Bevölkerung mit ca. 80.000 Teilnehmern folgt. Viele Gegner des Vietnamkriegs sehen trotz der Millionen Opfer der chinesischen Kulturrevolution in Mao Tse-tung ihr Ideal. Auch der 1967 in Bolivien nach seiner Gefangennahme ermordete Guerillaführer Ernesto Che Guevara wird von der rebellischen Jugend kritiklos verehrt.

Die sich als Außerparlamentarische Opposition (APO) etablierende Bewegung führt unter dem Schlagwort „Enteignet Springer!“ eine Kampagne gegen die Meinungsmanipulation, die von der Bildzeitung ausgeht. Nach einem Mordanschlag auf Rudi Dutschke am Gründonnerstag kommt es Ostern 1968 in verschiedenen westdeutschen Städten zu Straßenschlachten. Am Ende der antiautoritären Bewegung stehen oftmals Politsekten mit extrem autoritären Strukturen.

Seit 1969 kann in der Bundesrepublik die 1956 verbotene Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) unter dem neuen Namen DKP wieder auftreten.

Die 1966 in der Bundesrepublik gebildete Große Koalition aus CDU/CSU, SPD und FDP verabschiedet 1968 gegen langjährigen Widerstand die sogenannten Notstandsgesetze. Sie regeln unter anderem den Einsatz der Bundeswehr bei inneren Unruhen.

Ein Jahr später bilden SPD und FDP unter Bundeskanzler Willy Brandt die erste sozialliberale Koalition mit dem Versprechen, mehr Demokratie zu wagen. Sie wird bis 1982 Bestand haben.

Deutsche Demokratische Republik

Unter Walter Ulbricht versucht die Partei- und Staatsführung seit 1962/63, ihr Wirtschaftssystem effizienter zu gestalten. Sie entwirft ein Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung (NÖSPL). Die Planziffern sollen nicht mehr zentral vorgegeben, sondern in den Betrieben selbst entwickelt werden. Die volkseigenen Unternehmen sollen in einen Wettbewerb treten. Dies setzt realistische Preise und Marktmechanismen voraus. Außerdem sollen Wissenschaft und Forschung gefördert werden. In Ost-Berlin und den Zentren der Bezirkshauptstädte sollen moderne Repräsentationsbauten von der Leistungskraft des Sozialismus künden. Diese Reformprojekte sind ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft, gefährden jedoch langfristig die uneingeschränkte Macht der Partei. Deswegen wird die Wirtschaftsreform schon 1965 zurückgefahren.

Dies hat auch Auswirkungen auf die Kultur- und Jugendpolitik der Partei. Die Lockerungen der frühen 1960er Jahre schlagen nun in eine sehr restriktive (= einschränkende) Politik um. Der Kampf gegen unangepasste Jugendliche wird rabiater: In Ost-Berlin nimmt die Volkspolizei Mitte der 1960er Jahre langhaarige Jugendliche fest und schneidet ihnen die Haare ab. Im thüringischen Ort Pößneck wird diese erniedrigende Aktion im Oktober 1969 wiederholt. Wer dagegen protestiert, wird wegen „Staatsverleumdung“ eingesperrt.

Einige Projekte der Reformperiode werden weitergeführt. Dazu gehört die Sozialistische Hochschulreform, die Akademiereform und eine neue Verfassung, der am 6. April 1968 angeblich 94,5 Prozent der Bürger in einem Volksentscheid zustimmen. Dessen Qualität unterscheidet sich kaum von den üblichen Praktiken bei Wahlen in der DDR. In Artikel 1 wird die „führende Rolle“ der SED festgeschrieben. Die Grundrechte der Bürger werden durch Grundpflichten – und ein zur selben Zeit verabschiedetes neues sozialistisches Strafrecht – systematisch begrenzt. An den politischen Realitäten ändert die Verfassung nichts. Vielmehr gibt es nach der Niederschlagung des Prager Frühlings eine Welle der Repression (= Unterdrückung, Zurückdrängung) in der DDR.

Erst nach Walter Ulbrichts Absetzung und dem Machtantritt Erich Honeckers am 3. Mai 1971 beginnt eine Phase der kulturpolitischen Auflockerung, die bis 1976 anhält. Zugleich wird aber unter Erich Honecker der strafrechtliche Kampf gegen Jugendkriminalität und sogenannte Asozialität verschärft. Ende 1974 befinden sich über 12.000 DDR-Bürger in Arbeitslagern. Insgesamt sind es zu diesem Zeitpunkt mehr als 48.000 Häftlinge. Die wirtschaftspolitischen Reformideen der Ulbricht-Ära werden endgültig zu den Akten gelegt.

Zitierempfehlung: „Kontext zum Portal Hände weg von Prag!“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung November 2016, www.jugendopposition.de/145363


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