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Der Fall Matthias Domaschk

Matthias Domaschk 1979. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Kerstin Hergert
Matthias Domaschk 1979. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Kerstin Hergert
„Ihr habt Matthias Domaschk ermordet“: Sein ungeklärter Tod am 12. April 1981 in der Stasi-Haftanstalt Gera ist nicht in Vergessenheit geraten. Nach der Erstürmung der Stasi-Zentrale in der Berliner Normannenstraße am 15. Januar 1990 erinnern mehrere...
„Ihr habt Matthias Domaschk ermordet“: Sein ungeklärter Tod am 12. April 1981 in der Stasi-Haftanstalt Gera ist nicht in Vergessenheit geraten. Nach der Erstürmung der Stasi-Zentrale in der Berliner Normannenstraße am 15. Januar 1990 erinnern mehrere Graffiti an den gewaltsamen Tod von Matthias Domaschk. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Rolf Zöllner/RHG_Fo_RZ_0297
Nach der Erstürmung der Stasi-Zentrale in der Berliner Normannenstraße am 15. Januar 1990 erinnern mehrere Graffiti an den gewaltsamen Tod von Matthias Domaschk. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Siegbert Schefke
Nach der Erstürmung der Stasi-Zentrale in der Berliner Normannenstraße am 15. Januar 1990 erinnern mehrere Graffiti an den gewaltsamen Tod von Matthias Domaschk. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Siegbert Schefke
Das Unrecht bleibt unvergessen: Am 12. April 1996 wird eine Straße in Jena-Neulobeda nach Matthias Domaschk benannt. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft
Das Unrecht bleibt unvergessen: Am 12. April 1996 wird eine Straße in Jena-Neulobeda nach Matthias Domaschk benannt. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft

Matthias Domaschk, geboren am 12. Juni 1957, Mitglied der Jenaer Jungen Gemeinde (JG) Stadtmitte, kommt am 12. April 1981 in der Haftanstalt der Staatssicherheit in Gera zu Tode. Matthias Domaschk, so der offizielle Untersuchungsbericht der Stasi, habe sich aus seinem Hemd einen Strick gedreht und an einem Heizungsrohr erhängt.

In seinem Buch „Vision und Wirklichkeit“ über die Jenaer Opposition beschreibt der Schriftsteller und Publizist Udo Scheer die Verhaftung von Matthias Domaschk wie folgt:

„Am Freitag, den 10. April 1981, fuhren Matthias Domaschk und sein Freund Peter Rösch mit dem Abend-D-Zug über Gera nach Berlin. Ein Freund hatte sie zum Geburtstag eingeladen. Gegen 21 Uhr wurden sie in Jüterbog von der Transportpolizei (Trapo) geweckt: ,Fahrscheinkontrolle. Ausweiskontrolle. Aussteigen! Da geht`s lang!` [...] Stundenlanges Warten in den Verwahrräumen der Trapo erleben sie nicht das erste Mal. Tief in der Nacht kommen Zivile: ‚Ausweiskontrolle. Name? Adresse? Wohin?` Alles normal. Berlin-Verbot haben beide nicht. Weiter warten. Bis zum nächsten Morgen, Vormittag, Nachmittag. Was sie nicht wissen: Ein Barkas B 1000, ein Kleinbus der Stasi-Bezirksverwaltung Gera, ist unterwegs, soll sie abholen, hat eine Panne, bleibt liegen. Ein zweiter Bus wird geschickt, kommt am zeitigen Abend in Jüterbog an.

Jetzt wird der Ton scharf. Knebelketten werden angelegt, im Bus die Hände unter die Oberschenkel. Redeverbot. Ankunft in der U-Haft Gera gegen 22 Uhr. Ein Spalier Bewacher. Gebrüll. Laufschritt! Blase (Peter Rösch) und Matz (Matthias Domaschk) werden in den Keller gejagt. Das U-Boot. Einzelzellen. Die Zellentüren knallen zu. Es ist eng, keine Liege, kein Fenster, ein Hocker, Klo, Waschbecken, Lüftungssieb in der Decke. Sie werden wieder rausgeholt, alles abgeben: Schnürsenkel, Gürtel, Tascheninhalt, auch die Visitenkarte von Rechtsanwalt Schnur. Dröhnendes Gelächter: ,So wie wir das machen, sehen Sie ein halbes Jahr lang gar keinen Rechtsanwalt.` [...] Gegen 23 Uhr beginnen die Verhöre.“

Die traurige Geschichte von Blase und Matz

Matthias Domaschk und Peter Rösch werden nahezu ohne Unterbrechung bis zum nächsten Mittag verhört – ohne brauchbares Ergebnis für die Stasi. Am Nachmittag, so das Stasi-Protokoll, sollen sie nach Hause entlassen werden. Doch davon wissen die beiden noch nichts. Und kurz vor seiner Entlassung soll sich Matthias Domaschk – der fünf Wochen später heiraten will, Vater einer vierjährigen Tochter ist und den seine Freunde als lebenslustigen Menschen beschreiben – erhängt haben.

Nach 1989 taucht in den Stasi-Akten eine Verpflichtungserklärung auf: Matthias Domaschk soll sich, kurze Zeit vor seinem Tod, handschriftlich dazu verpflichtet haben, als Inoffizieller Mitarbeiter für die Stasi zu spionieren.

Am Ende ist es egal, ob die Erklärung echt oder gefälscht ist. Es ist egal, ob Matthias Domaschk ermordet wurde oder sich selbst umgebracht hat. Was bleibt, ist die Tatsache, dass ein junger Mann aus nichtigem Grund verhaftet, unter starken psychischen und physischen Druck gesetzt wird und schließlich in der Stasi-Haft ums Leben kommt.

Matthias Domaschks Tod ist ein Fanal. Die Jenenser Oppositionellen wissen, dass es jeden von ihnen hätte treffen können. Wie Dorothea Fischer und Andreas Friedrich sind viele zutiefst geschockt. (Beide berichten darüber im Zeitzeugen-Video.) Nach der ersten Lähmung beschließen sie, nicht untätig zu bleiben. Dieser Tod radikalisiert die jungen Oppositionellen und löst in Jena eine Reihe von Aktionen aus, in deren Folge wiederum etliche Jugendliche verhaftet werden.

Ein von Matthias Domaschks Freunden nach 1989 angestrebter Prozess gegen die involvierten Stasi-Offiziere endet mit geringen Geldstrafen für die Angeklagten. Unterlagen, die Auskunft über die Ereignisse hätten geben können, wurden vernichtet. Und die Stasi-Offiziere, die Matthias Domaschk 1981 verhörten, schweigen bis heute.

Zitierempfehlung: „Der Fall Matthias Domaschk“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung Dezember 2019, www.jugendopposition.de/145330

 


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Seine Freunde lassen das Vergessen nicht zu. Am ersten Todestag von Matthias Domaschk verteilen sie viele ausgeschnittene Todesanzeigen gut sichtbar im gesamten Jenaer Stadtgebiet. Weiter...

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