Leipziger Basisgruppen protestieren am 24. Oktober 1988 in der Nikolaikirche gegen das Verbot von selbst gestalteten Friedensgebeten. Auch vor der Kirche wird protestiert. V.l.n.r.: Udo Hartmann, Frank Sellentin, Rainer Müller, Anita Unger und Uwe Schwabe. Quelle: Archiv Bürgerbewegung Leipzig/Christoph Motzer
"Wir sehen uns als Christen und als Leute, die die Wahrheit lieben, verpflichtet, hier zu protestieren": 1988 erklären Mitglieder des Arbeitskreises Gerechtigkeit, der Initiativgruppe Leben und des Arbeitskreises Solidarische Kirche Leipzig, warum die Friedensgebete abgesetzt wurden. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft Abschrift
Die Nikolaikirche in Leipzig ist ein zentraler Ausgangspunkt der friedlichen Revolution in der DDR im Herbst 1989. Quelle: Archiv StAufarb, Bestand Klaus Mehner, 88_0314_REL_Nikolai_01
Am 9. Oktober 1989 demonstrieren mehr als 70.000 Menschen in Leipzig friedlich gegen das SED-Regieme und fordern Reformen. Aram Radomski und Siegbert Schefke filmen und fotografieren heimlich dieses Ereignis. Anschließend werden ihre Aufnahmen mit Hilfe von West-Journalisten nach West-Berlin geschmuggelt. Die sensationellen Bilder sind noch am selben Abend in den Tagesthemen zu sehen. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Aram Radomski
Nach der Demonstration am 9. Oktober 1989 wird die Stadt Leipzig am darauffolgenden Montag hermetisch abgeriegelt. Die Sicherheitskräft von Staatssicherheit sind bewaffnet und dazu angehalten auf "Provokationen" mit Härte zu reagieren. Trotz der Drohkulisse demonstrieren am 16. Oktober 1989 150.000 Menschen friedliche in der Leipziger Innenstadt - doppelt so viele, wie in der Vorwoche. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Aram Radomski
Der Karl-Marx-Platz im Zentrum der sächsischen Metropole ist Schauplatz zahlreicher Montagsdemonstrationen während der Zeit der Friedlichen Revolution in der DDR. Montagsdemonstration am 16. Oktober 1989. Quelle: Bundesarchiv/183-1990-0922-002/Friedrich Gahlbeck
Montagsdemonstration in Leipzig am 23. Oktober 1989: Das ironische Transparent zeigt die Abwandlung eines Ausspruchs von Erich Honecker: „Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf." Quelle: REGIERUNGonline/Liebe
Im Herbst 1989 sind an vielen Orten Friedensgebete die Ausgangspunkte für Demonstrationen. Das Bild zeigt die Leipziger Demo am 23. Oktober 1989, auf der erstmals Vertreter des Neuen Forums Ansprachen halten. Am 25. September demonstrieren rund 4.000 Menschen, am 2. Oktober 20.000, am 9. Oktober etwa 70.000, am 16. Oktober 150.000 und am 23. Oktober mehr als 300.000. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft (BStU-Kopie)
Montagsdemo am 6. November 1989 in Leipzig. Ein Transparent erinnert an den Prager Frühling 1968, der blutig niedergeschlagen wurde. Quelle: REGIERUNGonline/Liebe
Montagsdemonstration am 13. November 1989 in Leipzig. Es tauchen die ersten Transparente mit der Losung „Deutschland, einig Vaterland“ auf. Quelle: REGIERUNGonline/Marion Wenzel
Zur traditionellen Montagsdemonstration am 20. November 1989 finden sich über 100.000 Bürger auf dem Karl-Marx-Platz und dem Ring ein. Neben der Aufforderung an alle, im Land zu bleiben, geht es vor allem um freie Wahlen und die Änderung des Artikels 1 der Verfassung, in dem der Führungsanspruch der SED festgeschrieben ist. Quelle: Bundesarchiv/183-1989-1120-026/Friedrich Gahlbeck
Nach den Friedensgebeten in sieben Kirchen finden sich am 27. November 1989 etwa 200.000 zur Montagsdemonstration ein. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Andreas Kämper
Der Liedermacher Wolf Biermann, der nach jahrelangen Auftrittsverboten 1976 während einer Tournee in der Bundesrepublik ausgebürgert wurde, tritt zum erstenmal wieder in der DDR auf. In der Messehalle 2 wird er von den etwa 5.000 Besuchern mit einem Beifallsorkan empfangen. Quelle: Bundesarchiv/183-1989-1201-047/Waltraud Gubitzsch
Ein "stiller Abschluss" der Montagsdemonstrationen des Jahres 1989 am 18. Dezember. Mit Kerzen in den Händen gedenken 100.000 Demonstranten den Opfern von Gewalt und geistiger Unterdrückung in der DDR. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Andreas Kämper
Montagsdemonstration in Leipzig am 15. Januar 1990. Wieder sind Zehntausende Menschen auf der Straße. Die Mehrheit ist sich einig: "Deutschland einig Vaterland" und "Nieder mit der SED".Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Andreas Kämper
Montagsdemonstration in Leipzig am 15. Januar 1990. Wieder sind Zehntausende Menschen auf der Straße. Die Mehrheit ist sich einig: "Deutschland einig Vaterland" und "Nieder mit der SED". Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Andreas Kämper
Montagsdemonstration in Leipzig am 15. Januar 1990. Wieder sind Zehntausende Menschen auf der Straße. Die Mehrheit ist sich einig: "Deutschland einig Vaterland" und "Nieder mit der SED". Mit unter den Demonstranten sind Mitglieder der Republikaner, welche Werbematerial verteilen. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Andreas Kämper
Montagsdemonstration in Leipzig am 15. Januar 1990. Wieder sind Zehntausende Menschen auf der Straße. Die Mehrheit ist sich einig: "Deutschland einig Vaterland", "Nieder mit der SED" und "Gebt NAZIS Keine Chance". Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Andreas Kämper
Die berühmten Leipziger Montagsdemonstrationen haben ihren Ursprung in der DDR-Friedensbewegung Anfang der 1980er Jahre: Seit 1981 werden in der Messestadt Friedensgebete organisiert; seit 1982 finden Sie immer montags statt. Hinzu kommen andere Veranstaltungen der Friedensbewegung in und an verschiedenen Kirchen. Die zentrale Figur in der Gestaltung und Organisation der Friedensgebete ist Christoph Wonneberger.
Der 1985 aus Dresden nach Leipzig gezogene Pfarrer initiiert bereits 1982 in Dresden die ersten Friedensgebete. Auch in Leipzig organisiert Christoph Wonneberger, Mitbegründer der AG Menschenrechte, gegen staatliche und innerkirchliche Widerstände Friedensgebete. Außerdem geht von ihm die Idee der Alternativen Leipziger Kirchentage aus, die auch viele Teilnehmer von Friedensinitiativen besuchen.
Durch die stärkere politische Ausrichtung der Gruppen und den Zustrom von Ausreisewilligen werden die Friedensgebete ab Mitte der 1980er Jahre zu systemkritischen politischen Veranstaltungen, die auch über die Kirche hinaus Öffentlichkeit erlangen. Die Folge: Verhaftungen und steigender Druck des Staates auf die Kirchenleitung. Ab September 1988 gibt die Leipziger Kirchenleitung dem Druck nach und untersagt den unabhängigen Gruppen die inhaltliche Gestaltung der Friedensgebete.
Es sind die Montage, die in der DDR Geschichte schreiben
Diese Regelung führt in den folgenden Wochen immer wieder zu Tumulten bei den Gottesdiensten, bis sie im Frühjahr 1989 wieder aufgehoben wird. Die Leipziger Gruppen Initiativgruppe Leben, Arbeitskreis Gerechtigkeit, Arbeitsgruppe Umweltschutz und Arbeitskreis Solidarische Kirche schreiben einen offenen Brief an den Landesbischof Johannes Hempel, in dem sie sich heftig gegen den Versuch auflehnen, die Friedensgebete zu entpolitisieren. Rainer Müller und Uwe Schwabe sind auf dem Bild oben mit ihren Protestplakaten gegen dieses Redeverbot zu sehen.
Die kritische politische Prägung der Friedensgebete geht auch von den vielen jugendlichen Teilnehmern der Leipziger Gruppen aus. Sie sind es, die die ersten Montagsdemonstrationen mit noch wenigen Beteiligten anführen.
Unmittelbar nach der Fälschung der Kommunalwahlen vom 7. Mai 1989 organisieren Leipziger Gruppen eine Demonstration, an der rund 600 Menschen teilnehmen. Am kommenden Tag wird während des Friedensgebets in der Nikolaikirche erstmals ein Polizeikessel um die Kirche gebildet.
Der Landesbischof Johannes Hempel fordert erneut eine Einschränkung der Friedensgebete, doch der Druck von kirchlichen Basisgruppen und Pastoren ist so stark, dass sich der Bischof innerhalb der Kirche nicht mehr durchsetzen kann.
Die Veranstaltungen werden nun als Montagsgebete bezeichnet und die anschließenden Demos als Montagsdemonstrationen. Gerade die politische Ausrichtung der Friedensgebete macht die Leipziger Andachten so populär. Schnell ist Montag für Montag das Kirchenschiff der Nikolaikirche mit Besuchern überfüllt. Die verschiedenen oppositionellen Strömungen finden hier einen gemeinsamen Raum und eine wenn auch noch kleine Öffentlichkeit. Schnell verbreitet sich im ganzen Land der Ruf der Leipziger Friedensgebete. Die Montagsgebete und -demonstrationen tragen den Protest gut sichtbar auf die Straße und in die Gesellschaft hinein. Damit läuten sie das Ende der DDR ein.
„Wir sind das Volk!“, „Wir sind das Volk!“, „Wir sind das Volk!“
Nach dem Montagsgebet am 4. September 1989 sammeln sich rund 1.000 Menschen vor der Leipziger Nikolai-Kirche. Ihre Rufe nach Reisefreiheit und nach einer Reform des politischen Systems werden in den kommenden Wochen jeden Montag in der Leipziger Innenstadt zu hören sein. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Armin Wiech
Bei der ersten Montagsdemonstration am 4. Septemeber 1989 entrollen Gesine Oltmanns und Katrin Hattenhauer zusammen mit anderen Oppositionellen in der Leipziger Innenstadt unter anderem dieses Transparent. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Armin Wiech
Kurze Zeit später reißt die Staatssicherheit das Plakat runter. Nur die mediale Begleitung der Demonstration durch die westlichen Medien verhindert, dass öffentlich Verhaftungen stattfinden. Eine Woche später wird Katrin Hattenhauer (mit Brille) von der Geheimpolizei verhaftet. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Armin Wiech
Angeführt wird der Demonstrationszug von jungen Mitgliedern Leipziger Umwelt- und Menschenrechtsgruppen. Von rechts: Carola Bornschlegel, Udo Hartmann, Uwe Schwabe, Christian Dietrich, Thorsten Beinhoff, Gesine Oltmanns, Katrin Hattenhauer. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Armin Wiech
„Es muß was geschehn …“: Artikel von Katharina Führer über das Friedensgebet am 11. September 1989 in der Leipziger Nikolaikirche und die anschließenden brutalen Übergriffe der Polizei auf die Teilnehmer des Friedensgebets (11. September 1989). Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft, Seite 1 von 2 Abschrift
„Es muß was geschehn …“: Artikel von Katharina Führer über das Friedensgebet am 11. September 1989 in der Leipziger Nikolaikirche und die anschließenden brutalen Übergriffe der Polizei auf die Teilnehmer des Friedensgebets (11. September 1989). Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft, Seite 2 von 2 Abschrift
Die Koordinierungsgruppe der Leipziger Fürbittandachten für die Inhaftierten informiert über die Ereignisse rund ums Friedensgebet vom 11. September 1989. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft Abschrift
Informationen zu Fürbittandachten in Berlin für die in Leipzig Inhaftierten (29. September 1989 bis 9. Oktober 1989) sowie über Festnahmen seit dem 11. September 1989 in Leipzig. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft Abschrift
Die erste Montagsdemonstration des Revolutions Herbstes am 4. September 1989 wird von westlichen Medien begleitet. Deren Anwesenheit verhindert, dass öffentlich Verhaftungen stattfinden. Doch schon in der kommenden Woche, am 11. September 1989, schlagen Polizei und Stasi wieder hart zu. Vor allem junge Menschen gehen auf die Straße. (Unter ihnen ist auch Uwe Schwabe, der im Zeitzeugen-Interview von den revolutionären Zeiten in Leipzig berichtet.) Insgesamt 89 Demonstranten werden an diesem Tag festgenommen, und 19 von ihnen zu Haftstrafen bis zu einem halben Jahr und Geldstrafen bis zu 10.000 Mark verurteilt. Und das bei einem Durchschnittseinkommen von circa 1.000 Mark. Kaum einer der Verhafteten ist älter als 30 Jahre. Einige der 19 kommen erst fünf Wochen später wieder aus dem Gefängnis – nach dem Rücktritt des DDR-Staatschefs Erich Honecker. Landesbischof Johannes Hempel berichtet auf einer Synode in Erfurt am 15. September 1989 über die Montagsdemonstration am 11. September 1989 und die Festnahmen und fragt rhetorisch: „Was geht in den Jugendlichen vor, was bleibt in ihnen zurück, wenn sie so behandelt werden? Was sind das für Bürger der Zukunft? Auch in den offensichtlich sehr jungen Bereitschaftssoldaten, die doch, soweit ich weiß, Wehrpflichtige sind und die jetzt in Kette vorgehen gegen fast Gleichaltrige? Was geht in denen vor?“
Anfang September 1989 ändert sich auch die Zielvorstellung der Demonstrationen. Während vor dem Sommer noch viele Ausreisewillige unter dem Ruf „Wir wollen raus!“ zu den Friedensgebeten erscheinen, sind es in den ersten Septemberwochen vor allem die Angehörigen von Oppositionsgruppen, die nicht mehr vor den Zuständen in der DDR fliehen wollen. Sie wollen die Republik verändern und skandieren jetzt, sehr zum Schrecken der DDR-Führung, „Wir bleiben hier!“.
Am 18. September 1989 versammeln sich schon während des Gottesdienstes, den fast 2.000 Menschen besuchen, mehr als 1.000 Leute vor der Leipziger Nikolaikirche. Die Teilnehmerzahlen steigen von Woche zu Woche, was laut Rainer Müller und Uwe Schwabe auch auf den festen Treffpunkt zurückzuführen ist: immer montags in der Nikolaikirche. Am 25. September sind es 8.000 Menschen, die in einem Demonstrationszug auf dem Ring um die Leipziger Innenstadt ziehen. Der Zug führt direkt an der Bezirksverwaltung der Stasi in Leipzig, der Runden Ecke, vorbei.
Dass die Revolution später zum größten Teil friedlich verläuft, ahnt im September 1989 noch niemand. Hundertschaften von Polizei und Stasi stehen jeden Montag bereit und warten auf den Einsatzbefehl. Jederzeit kann es zur offenen Konfrontation kommen, jederzeit kann Blut fließen. Die Massaker der chinesischen Armee an den demonstrierenden Studenten auf dem Pekinger Platz des Himmlischen Friedens vom 3. und 4. Juni 1989 sind allen in schlimmer Erinnerung.
Der Tag der Entscheidung
Am 9. Oktober 1989, zwei Tage nach den offiziellen Feierlichkeiten zum 40. Republikgeburtstag, versammeln sich rund 70.000 Menschen um die Leipziger Nikolaikirche. Ein Eingreifen der bereitstehenden Polizei-Hundertschaften würde zur Eskalation der Gewalt führen. Doch nach einiger Zeit ziehen sich die Polizisten in ihre Mannschaftswagen zurück und räumen das Feld. Rainer Müller und seine Mitstreiter feiern. (Über die Leipziger Montagsdemos berichtet Rainer Müller im Zeitzeugeninterview.)
Am 9. Oktober 1989 demonstrieren mehr als 70.000 Menschen in Leipzig friedlich gegen das SED-Regieme und fordern Reformen. Aram Radomski und Siegbert Schefke filmen und fotografieren heimlich dieses Ereignis. Anschließend werden ihre Aufnahmen mit Hilfe von West-Journalisten nach West-Berlin geschmuggelt. Die sensationellen Bilder sind noch am selben Abend in den Tagesthemen zu sehen. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Aram Radomski
Leipziger Oppositionsgruppen appellieren am 9. Oktober 1989 an alle Demonstranten und Einsatzkräfte, sich friedlich zu verhalten. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft Abschrift
Immer wieder montags: Über 70.000 Menschen beteiligen sich am 9. Oktober 1989 an der Montagsdemonstration in Leipzig. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Aram Radomski
Ein Stasi-Offizier gibt später zu Protokoll: „Am 9. Oktober überstieg ja erstmals die Zahl der Demonstranten alles, was man erwartet hatte. Selbst das, was wir nach den Berliner Ereignissen [gemeint sind die Demonstrationen am 7. Oktober] im Ministerium für Staatssicherheit erwartet hatten, wurde auf eine eindrucksvolle, für uns damals beängstigende Art und Weise übertroffen. Noch nie sah man in der DDR so viele Menschen mit einer so eindeutigen Ausrichtung gegen das Herrschaftssystem.“ An diesem Tag setzt sich die Bevölkerung erstmals auf offener Straße dem Staat gegenüber durch. Leipzig wird in den folgenden Wochen und Monaten in der DDR-Bevölkerung nur noch als Heldenstadt bezeichnet.
Die DDR-Opposition nutzt die Westmedien ganz bewusst zur Bekanntmachung der Leipziger Proteste. Die Verbreitung der Leipzig-Nachrichten in der ganzen DDR spielt in den kommenden Wochen eine besonders wichtige Rolle. (Im Interview berichtet der damals 26-jährige Aram Radomski, wie es ihm zusammen mit Siegbert Schefke auf abenteuerliche Weise gelingt, trotz Stasi-Verfolgung eine Montagsdemonstration mit der Kamera aufzuzeichnen und das Video in den Westen zu schmuggeln.)
Die Leipziger Montagsdemonstrationen sind zu Recht zu einem Synonym für den Aufstand eines Volkes gegen seine Regierung geworden. An den Protestdemonstrationen, die ab dem 4. September 1989 regelmäßig jeden Montag stattfinden, nehmen im Oktober bereits Zehntausende Menschen teil. Leipzig ist die erste Stadt der DDR, in der so viele Menschen auf die Straße gehen, um für eine grundlegende Wandlung des politischen Systems zu demonstrieren. Ihr Ruf „Wir sind das Volk!“ wird zum wichtigsten Slogan der Revolution – bis er im November 1989 nach dem Fall der Mauer durch den Ruf „Wir sind ein Volk!“ abgelöst wird.
Zitierempfehlung: „Friedensgebete und Montagsdmonstrationen“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung November 2022, www.jugendopposition.de/145465
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Leipzig war so eine Besonderheit, dort gab es seit 1988 jeden Montag die Friedensgebete in der Nikolaikirche. Da haben wir immer versucht, das Gebet mit einer Aktion zu verbinden. Das waren zum Teil primitive Sachen: Wir müssen auf die Umweltsituation aufmerksam machen. Wir sind nach dem Friedensgebet in einen Park von Leipzig gegangen und haben Papier aufgelesen oder sauber gemacht. Symbolische Aktionen, um die Leute zu animieren: ´Ihr seid selber verantwortlich für eure Umwelt`. Im November 1987 war der Überfall auf die Umwelt-Bibliothek [Berlin]. Die Staatssicherheit hat die Umwelt-Bibliothek in einer Nacht-und-Nebel-Aktion überfallen und versucht, die Drucker des ´grenzfall`, das war die Samisdat-Zeitschrift, auf frischer Tat zu ertappen. Aber die wurde an dem Tag gar nicht gedruckt. Trotzdem wurden die Leute inhaftiert. Sie wurden aber ganz schnell wieder frei gelassen.
Im Januar 1988 war die Karl-Liebknecht-Rosa-Luxemburg-Demonstration` an der verschiedene Oppositionelle teilgenommen haben – wie Stefan Krawcyk, Freya Klier, Wolfgang Templin, Bärbel Bohley, Gerd Poppe, glaub ich noch. Die sind auch inhaftiert worden. Stefan Krawcyk und Freya Klier sind in den Westen abgeschoben worden. Da gab es eine Riesen-Solidarisierungs-Aktion in der ganzen DDR, auch in Leipzig. Es fanden in vielen Kirchgemeinden jeden Tag Veranstaltungen statt, Fürbitt-Aktionen. Das hat einen Riesen-Mobilisierungs-Effekt für Leipzig gehabt, weil man gemerkt hat: Man kann was erreichen und diesen Staat unter Druck setzen.
Friedensgebete wurden nach diesen Ereignissen 1988 viel politischer. Dort sind auch Gruppen aufgetreten, die politische Forderungen gestellt haben. Das hat wiederum anderen Gruppen nicht gepasst. Die haben gesagt: ´in Friedensgebet, das ist kein Polit-Forum. Da können wir keine Erklärungen vorlesen. Das ist ein Friedensgebet, der Charakter muss erhalten bleiben` Da gab es Konflikte zwischen den einzelnen Gruppen.
Uwe Schwabe, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de