Bis zum Schluss glauben etliche deutsche Jugendliche an Adolf Hitlers „Endsieg“. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 und der deutschen Kapitulation sind viele von ihnen orientierungslos, arm und verwahrlost.
Noch im Moskauer Exil entwickelt die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) den Plan einer „einheitlichen, antifaschistischen, antimilitaristischen, antiimperialistischen Organisation der Jugend zur Erfassung und Vereinigung der fortschrittlichen Jugend nicht auf parteimäßiger Grundlage, sondern eine breite außerparteiliche Massenorganisation“.
Am 31. Juli 1945 gestattet die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) in ihrer Besatzungszone die „Schaffung Antifaschistischer Jugendkomitees“. Parallel dazu wird in Berlin ein Zentraler Jugendausschuss gebildet, in dem zwar auch die Sozialdemokratische Partei (SPD), die bürgerlichen Parteien und die Kirchen vertreten sind, die KPD jedoch die Mehrheit hat.
Am 26. Februar 1946 unterzeichnen die Mitglieder des Zentralen Jugendausschusses der Sowjetischen Besatzungszone den Gründungsaufruf für die Freie Deutsche Jugend (FDJ). Die Christlich Demokratische Union (CDU), die Liberaldemokratische Partei (LDP) und die Kirchen hoffen, die Einheitsorganisation in ihrem Sinne beeinflussen zu können, trotz der Vorherrschaft der KPD.
Vom 8. bis 10. Juni 1946 tagt in Brandenburg/Havel das erste Parlament der FDJ. Von allen Rednern wird die Überparteilichkeit beschworen. Doch dass der Schein trügt, merkt man daran, mit wem die Führungspositionen besetzt werden: Den Vorsitz übernimmt Erich Honecker, der verantwortliche Jugendpolitiker in der SED-Führung. Generalsekretärin wird Edith Baumann, ebenfalls SED-Mitglied und spätere Ehefrau Honeckers. Das Organisationsbüro leitet Hermann Axen, der wie die anderen über die KPD in die SED gekommen ist. Auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Finanzen sind fest in kommunistischer Hand. Die Abteilung für Mädelfragen sowie die Kultur überlässt man hingegen der CDU, die Kinderarbeit einer ehemaligen Sozialdemokratin und die Verantwortung für Sport, Jugendheime und Wandern einem Liberaldemokraten.
FDJ: Vom antifaschistischen Jugendkomitee zum staatstreuen Erfüllungsgehilfen
Ihre zahlreichen Freizeitangebote bringen der FDJ schnell großen Zulauf. Konkurrierende Jugendorganisationen sind nicht zugelassen – abgesehen von der besonderen Situation in der Vier-Sektoren-Stadt Berlin. Von den Besatzungsbehörden bekommt die FDJ Kulturhäuser und andere Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt. Anders als im Krieg können die Jugendlichen jetzt wieder Tanzunterricht nehmen. Diskussionsabende und Kulturveranstaltungen sind besonders im Winter beliebt: Wenigstens sitzt man so einen Abend im Warmen. Die Jugendherbergen öffnen wieder, und im Sommer ziehen Jugendgruppen mit Klampfe und Gesang durch die schöne deutsche Heimat.
Allmählich beginnt der Kalte Krieg: Zur Jahreswende 1947/48 duldet die FDJ keine bürgerlichen und christlichen Einflüsse mehr. Führende CDU-Vertreter innerhalb der FDJ, wie Manfred Klein und Georg Wrazidlo, werden von den Sowjets verhaftet und zu langen Haftstrafen verurteilt. Andere bürgerliche Mitglieder treten resigniert aus den Führungsgremien der FDJ aus.
Im Dezember 1948 hat die FDJ ihren eigenen Angaben zufolge fast eine halbe Million Mitglieder. Sie verfügt über eine straffe Organisation. Allerdings ist von den ursprünglichen Zielen nichts mehr zu spüren. Die FDJ ist nun eine von der SED gelenkte Organisation. Sie hat die Aufgabe, die Jugend im Sinne der Partei zu mobilisieren, und bleibt bis 1989 deren Kaderreserve.
Zitierempfehlung: „Die Vereinnahmung der Jugend durch die FDJ“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung Dezember 2019, www.jugendopposition.de/145344
Zum Anschauen des Videos benötigen Sie Javascript oder Flash
„Wir hatten Schulungen, die wir über uns ergehen lassen mussten, mitschreiben und so weiter. In jedem Raum hing natürlich Stalin an der Wand, das war damals, 1950, die Hochblüte der Stalin-Ära. Die Lehrer waren übrigens, das muss man noch dazu sagen, relativ junge Leute, die auch HJ-Führer gewesen waren, und in der ruhmreichen Sowjetunion das Braunhemd gegen das rote ausgewechselt hatten. Aber man spürte noch, dass da viel Altes war: die Handhabung, der Umgang mit Menschen, der Befehlston. Die indoktrinierten uns regelrecht. Den Begriff habe ich erst später erfahren. Als ich das Wort Indoktrination hörte, habe ich genau an diese Situation gedacht. Richtig schön eingebläut, hineingepresst. Das war das Eine. Und dann mussten wir selbst tätig werden. Da gab's also Selbststudien, Jugendfreunde, die haben Kleingruppen gebildet.
Das und das Thema steht an, dort drüber macht ihr eine Arbeit, heute Nachmittag hält einer von euch das Referat. Wer von euch, das wird vorher nicht bekannt gegeben. Jeder muss sich vorbereiten, es wird dann einfach einer ausgesucht. Im Gruppenstudium, im Selbststudium bekommt ihr folgende Literatur vorgegeben.` Auf dem Zettel stand: Marx, Engels, Lenin, Stalin. Band sowieso, von Seite sowieso bis sowieso. Und das lest ihr.` Das haben wir brav getan. Und ich weiß noch, das war ein aufregendes Erlebnis. Plötzlich schreit einer: Lest mal auf Seite sowieso!`. Das war vier oder fünf Seiten weiter. Da stand plötzlich ganz was anderes. Da stand fast das Gegenteil von dem, was wir eigentlich lesen sollten. Wir fingen natürlich an: Wie passt denn das? Was ist denn da los?`.
Das war so wie dieses Aha-Erlebnis der Widersprüche in der Theorie. Und wir diskutierten. Normalerweise musste man ruhig sein, irgendwie ist das wohl durch die Tür durchgedrungen. Plötzlich kommt der Lehrgangsleiter rein: Was ist denn hier los?`. Er bekam das mit, und dann ging's los. Dann wurde über diese Geschichte diskutiert. Ihr sollt nicht lesen, was wir euch nicht zugestehen zu lesen.` Wir dachten natürlich darüber nach. All das ging über mehrere Wochen, drei Wochen, glaube ich. Und von den etwa 35 Teilnehmern, die wir ja mit einer gewissen Überzeugung dort hingefahren sind, sind 30 weg und haben gesagt: Durch zu viel Blödsinn wird man klug`. Das Motto weiß ich noch, klingt zwar blöd, aber wir hatten keine bessere Formulierung.“
Quelle: Zeitzeugeninterview mit Achim Beyer am 11. Oktober 1998, Sächsischer Landesbeauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur