Friedensbewegung in der DDR
Sammelbezeichnung für eine Vielfalt von Friedensgruppen und -Initiativen, die Ende der 1970er Jahre im Schutzraum der Evangelischen Kirche entstehen und sich insbesondere Anfang der 1980er Jahre zu einer politischen Protestbewegung entwickeln.
Die unter dem Leitwort „Schwerter zu Pflugscharen“ wirkenden Gruppen sind staatlichen Repressionen ausgesetzt; sie sind Bestandteil der Oppositionsbewegung, die den späteren gesellschaftlichen und politischen Umbruch 1989/90 einleitet. Trotz der Verfolgung durch die SED können sich die Gruppen stabilisieren und ein Netzwerk kontinuierlich arbeitender Initiativen bilden.
Die Wurzeln der Friedensbewegung reichen bis in die frühen 1960er Jahre zurück, als die SED in der DDR die allgemeine Wehrpflicht einführt (1962) und sich Hunderte von jungen Christen und Pazifisten weigern, eine Waffe in die Hand zu nehmen. Der Höhepunkt der DDR-Friedensbewegung ist 1983, als auch in Westdeutschland die Proteste gegen die NATO-Nachrüstung in Großdemos gipfeln.
Zu den spektakulärsten Aktivitäten gehören die Friedens- und Ausreisedemonstrationen in Jena, die zweite Ostberliner Friedenswerkstatt, die Aktionen und Zusammenkünfte der Gruppe Frauen für den Frieden sowie der Versuch, am 1. September eine Kerzenkette zwischen den Botschaften der Sowjetunion und der USA zu bilden.
Durch überregionale Friedensseminare wie in Königswalde, Meißen oder Karl-Marx-Stadt (heute: Chemnitz) kommt es zur Vernetzung der Friedensgruppen. Durch das ab 1983 jährlich stattfindende Seminar „Konkret für den Frieden“ sowie erste inoffizielle Publikationen findet die Friedensbewegung in der Öffentlichkeit immer mehr Gehör.
Mitte der 1980er Jahre macht sich Resignation breit, da die Friedensbewegung praktisch mit allen Forderungen gescheitert ist. Sehr viel weniger Menschen besuchen die Friedenswerkstätten und -dekaden, viele politisch Engagierte stellen einen Ausreiseantrag nach Westdeutschland oder wenden sich dem Umweltthema zu, in dem sie größere Wirkungsmöglichkeiten sehen.
Einige Gruppen, wie beispielsweise die 1986 gegründete Initiative Frieden und Menschenrechte, beginnen sich von den Kirchen zu emanzipieren. Sie definieren sich bewusst kirchenunabhängig. Auch wenn das Friedensthema noch zum Selbstverständnis der Gruppen gehört, kommen nun Themen wie Menschenrechte, Demokratisierung und Reformen hinzu.
Erich Honeckers Besuchsreise im September 1987 in der Bundesrepublik – und die erlaubte Teilnahme oppositioneller Gruppen am Olof-Palme-Friedensmarsch – machen den Friedensaktivisten Hoffnung, dass die DDR-Führung zu einem Dialog nach innen und nach außen bereit sein könnte. Diese Hoffnung wird mit dem Überfall des Ministeriums für Staatssicherheit auf die Berliner Umwelt-Bibliothek im November 1987 und mit den Verhaftungen Oppositioneller am Rande der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration im Januar 1988 zerstört.
Das aggressive Verhalten des Staats führt aber auch zu einer bis dahin nicht gekannten Solidarisierungsbewegung und Politisierung der Bewegung. Mit phantasievollen Aktionen, Demonstrationen und Publikationen dringen die Gruppen Schritt für Schritt in die Öffentlichkeit und werden zunehmend zum Kristallisierungskern breiter Reformforderungen. Insbesondere die Friedensgebete in der Leipziger Nikolaikirche sind Anhaltspunkt einer anschwellenden Demonstrationsbewegung, die die SED nicht mehr unter Kontrolle bekommt.
Als radikale Vertreter der Friedensgruppen ab Sommer 1989 zur Gründung von Parteien und Bürgerbewegungen übergehen, hat sich die Friedensbewegung endgültig in eine politische Opposition verwandelt.
Quelle: Hubertus Knabe, in: Lexikon Opposition und Widerstand in der SED-Dikatatur.