Abschrift
Die Verhaftung einer Reihe von Oppositionellen war ja im Grunde die Fortsetzung eines Ereignisses, dass sich schon wenige Monate zuvor abgespielt hatte. Da war die Umwelt-Bibliothek überfallen worden mit dem Ziel, dort Beweise gegen feindliche Kräfte zu finden und ihnen dann den Prozess zu machen. Das ist misslungen. Gleichzeitig bestand nach wie vor das Interesse, führende Köpfe der Opposition mundtot zu machen oder Vorwände zu finden, sie außer Landes zu schaffen. Das wuchs der SED allmählich alles über den Kopf. Deswegen hat man dann schon mit einiger Panik versucht, in so einer Art Befreiungsschlag diese Demonstration zu nutzen, eine ganze Reihe von Oppositionellen festzunehmen, die zum Teil gar nicht auf dieser Demonstration anwesend waren, um sich ihrer zu entledigen. Vermutlich stand das Ziel, sie außer Landes zu schaffen, längst fest. Wie wir damals reagiert haben, ist im Nachhinein immer schlecht zu rekonstruieren, auch was ich damals wirklich gefühlt habe. Ich erinnere mich, dass in dieser ganzen Zeit in uns immer so eine Mischung aus Misstrauen und Furcht auf der einen Seite und Hoffnung auf der anderen Seite war. Denn eines war klar: Die Dinge würden sich verändern in diesem und in den nächsten Jahren, das lag in der Luft. Wir wussten nur noch nicht, in welcher Richtung sich alles entwickeln würde.
Für mich war noch einmal in diesem Zusammenhang ein wichtiges Datum der Tag, an dem bekannt gegeben wurde, dass die Inhaftierten in den Westen abgeschoben worden waren. Das war ein ziemlicher Schock für uns, weil wir natürlich befürchteten, dass die Rechnung der SED aufgeht, dass sie die unbequemsten Köpfe außer Landes schafft, damit Ruhe im Land herrscht. So wollten sie natürlich diese Entwicklung abbrechen, die schon im Gange war, dass immer mehr Menschen protestieren, sich immer mehr Menschen versammeln. Das wäre auch mit ungewissem Ergebnis immer so weitergegangen. Und damit, dass die Inhaftierten dann im Westen waren, hoffte man, und teilweise ist das auch gelungen, dass erst einmal die Luft raus ist aus dieser Protestbewegung. Das ist dann zum Glück nicht endgültig so gewesen, aber ein Schock war das schon. Wir fühlten uns unglaublich geschwächt dadurch, dass nicht wenige wichtige Leute aus unseren Reihen plötzlich nicht mehr da waren.
Marianne Birthler auf www.jugendopposition.de
Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft