Pätz bei Königs Wusterhausen, Herbst 1976. Nachdem Reinhard Schult den Dienst an der Waffe bei der Nationalen Volksarmee verweigert hat, wird er im Alter von 25 Jahren als Bausoldat eingezogen. Nach zwei Wochen gibt es plötzlich eine Nachrichtensperre, und die jungen Bausoldaten dürfen nicht einmal mehr die Fernsehnachrichten der Aktuellen Kamera sehen. Später erfährt Reinhard Schult von zivilen Bediensteten an seinem Einsatzort, dass es dafür einen konkreten Grund gab: die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann.
Die Lieder Wolf Biermanns haben Reinhard Schult nie besonders interessiert, aber jetzt, wo seine Musik illegal ist, beschäftigt er sich intensiver mit den Texten. Von einer Freundin leiht er sich einen in der DDR verbotenen Mitschnitt des Biermann-Konzerts in Köln. Zusammen mit seinen Kameraden schreibt er die Liedtexte auf und vervielfältigt sie mühsam mit Durchschlagpapier auf der Schreibmaschine. Dabei muss immer einer der Bausoldaten Schmiere stehen, damit sie nicht von den Offizieren erwischt werden. Das würde nämlich Armeeknast für sie bedeuten.
Im Sommer 1979 wird ein Bekannter von Reinhard Schult beim Versuch, die DDR zu verlassen, verhaftet. Beim Stasi-Verhör behauptet er, Reinhard Schult sei in die Fluchtvorbereitungen eingeweiht. Reinhard Schult wird am 13. August 1979 wegen „Beihilfe zur Republikflucht“ verhaftet und ins Berliner Untersuchungsgefängnis gesteckt. Bei einer Hausdurchsuchung findet die Stasi die Biermann-Texte sowie eine Nummer der Zeitschrift Roter Morgen, veröffentlicht von der westdeutschen Kommunistischen Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten.
Vor Gericht nimmt Reinhard Schults Bekannter die belastenden Aussagen zurück, sodass dem wutentbrannten Staatsanwalt nur noch der Anklagepunkt „öffentliche Herabwürdigung“ bleibt. Wegen der illegalen Texte in seiner Wohnung wird Reinhard Schult zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. Weniger kann man ihm nicht geben, weil er diese Zeit schon in der Untersuchungshaft abgesessen hat.
Biografische Angaben zu Reinhard Schult finden sie im Personenlexikon.
Zitierempfehlung: „Reinhard Schult“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung Dezember 2019, www.jugendopposition.de/145500
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Der berühmte erste Satz ist, glaube ich: ´Die Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft ist gestört`. Das beinhaltet, dass man in diesen kritischen Situationen (Fluchtbewegung, Botschaftsbesetzung), das Gefühl hatte, die politischen Verhältnisse sind völlig erstarrt. Da hat sich überhaupt nichts mehr bewegt. Das beinhaltet, dass man den Dialog eingefordert hat, sowohl innerhalb der Gesellschaft als auch mit den Leuten, die regieren. Dass man eine andere Gesellschaft haben will, dass Flucht nicht die Alternative ist. Dass man hier bleiben muss, um dieses Land zu verändern, weil wir so eine Ellenbogengesellschaft wie im Westen nicht haben wollten. Es beinhaltet, dass man darüber nachdenken muss, in welcher Gesellschaft man leben will. Das waren die Grundaussagen. Da waren im Prinzip alle aufgefordert nachzudenken, sich einzusetzen, sich einen Kopf zu machen. Und es nicht mehr zuzulassen, es einer völlig verkalkten Bürokratie zu überlassen.
Frage: Welche Bedeutung hatte das ´Neue Forum` Ihrer Meinung nach für den Herbst '89?
Ich denke schon, dass das der Orientierungspunkt auf den Demonstrationen war. Die Rufe ´Neues Forum zulassen` waren ja auf so ziemlich allen Demonstrationen zu hören. Die Leute, die das Neue Forum in der Provinz gemacht haben, waren oftmals die einzige Bürgerbewegung, die einzige oppositionelle Organisation, die DDR-weit existierte, gerade in den kleinen Städten. Die haben auch zum Großteil die Demonstrationen mit organisiert. Ob das jetzt die Abrüstungssachen waren oder die Aufdeckung von irgendwelchen geheimen Waffenlagern: Meist war das Neue Forum daran beteiligt.
Reinhard Schult, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de