Von starken Frauen und Blues-Messen – Friedensbewegung in Berlin
Neben Jena ist Ost-Berlin das wichtigste Zentrum der Friedensbewegung in der DDR. Seit der ersten Bluesmesse im Sommer 1979, die der Berliner Pfarrer Rainer Eppelmann organisiert hat, werden diese Gottesdienste mit Musik in der DDR-Hauptstadt zu einem Anziehungspunkt für unangepasste Jugendliche aus der ganzen DDR. Man singt, tanzt, feiert und diskutiert miteinander – auch über gesellschaftspolitische Themen. Während es zuerst nur einige Dutzend Zuhörer sind, versammeln sich Ende 1979 etwa 1.000 Jugendliche zu einer Bluesmesse in der Berliner Samariterkirche.
Die Bluesmessen beschäftigen sich mit Themen aus dem Alltag der Jugendlichen. Sie haben ein reizvolles Musikprogramm, denn es treten auch bekannte oppositionelle Liedermacher auf. Jugendliche aus dem ganzen Land kommen hier an einem Ort zusammen, an dem sie nicht gemaßregelt werden, wenn sie sich kritisch über den Staat äußern. Weil der Andrang immer stärker wird, ziehen die Bluesmessen 1980 in die größere Erlöserkirche nach Berlin-Lichtenberg um.
1980 finden Bluesmessen in der Erlöserkirche statt
Doch ganz ohne behördliche Einmischung geht es dann doch nicht: Der Staat sieht in den Veranstaltungen sein Monopol auf Jugendkultur und -politik bedroht und versucht, die Bluesmessen zu verbieten. Das Argument: Es handelt sich hierbei nicht um genehmigungsfreie Gottesdienste, sondern um genehmigungspflichtige Massenveranstaltungen. Die Behörden üben einen starken Druck auf Pfarrer Eppelmann und die Kirchenleitung aus, doch vergeblich: Die Berliner Bluesmessen bleiben jahrelang ein wichtiger Treffpunkt der unangepassten DDR-Jugend.
Eine der wichtigsten Friedensgruppen, die sich 1982 in Berlin gründen, ist Frauen für den Frieden. Diese Initiative entsteht nach Änderung des DDR-Wehrdienstgesetzes, wonach im Mobilmachungsfall nun auch Frauen zur Landesverteidigung eingezogen werden können. Zahlreiche Frauen beschweren sich spontan bei staatlichen und militärischen Dienststellen. Die Berliner Gruppe formuliert einen Brief an Erich Honecker. Schnell schließen sich mehrere Hundert Frauen an.
In einer anderen Aktion sammeln Mütter der Gruppe Bilder ihrer Kinder. Sie tun das in Absprache mit Mitgliedern der westdeutschen Bundestagsfraktion der Grünen, die die Fotos während der Nachrüstungsdebatte im Bundestag am 21./22. November 1983 an alle Fraktionen verteilen. Im Namen ihrer Kinder fordern sie sowohl von der Bundesrepublik als auch vom „Friedensstaat“ DDR Initiativen zur Abrüstung.
Im Sommer 1983 fasten die Frauen für den Frieden öffentlich
Die Frauen für den Frieden versammeln sich mit anderen Friedensgruppen in der Erlöserkirche, um ab 6. August 1983 eine Woche lang für Abrüstung zu fasten. Am 12. Dezember 1983 werden die vier Hauptinitiatorinnen in Berlin verhaftet: Bärbel Bohley, Ulrike Poppe, Irena Kukutz und Jutta Seidel. Mitglieder der Grünen, darunter Petra Kelly und Gert Bastian, die enge Kontakte zur Gruppe unterhalten, protestieren umgehend öffentlich gegen die Verhaftungen.
Im Rahmen einer Friedenswerkstatt gestalten andere Friedensaktivisten im Juli 1983 eine Ausstellung in der Erlöserkirche. Sie handelt vom Widerstand in Jena und der anschließenden Verhaftungs- und Ausweisungswelle. Zum Weltfriedenstag am 1. September 1983 organisieren Friedensaktivisten, unter ihnen auch der Pfarrer Rainer Eppelmann, eine nicht genehmigte Menschenkette im Zentrum der DDR-Hauptstadt. Zwischen der sowjetischen und der amerikanischen Botschaft reichen sich mehr als 100 Menschen die Hand, um so abseits von staatlichen Parolen und verordneten Aufmärschen für Abrüstung und Frieden zu demonstrieren (Bildergalerie).
Zitierempfehlung: „Von starken Frauen und Blues-Messen – Friedensbewegung in Berlin“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung Dezember 2019, www.jugendopposition.de/145410
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Einige von uns hatten den Eindruck, dass in diesen gemischten Gruppen doch die Frauen sehr zurückhaltend waren und die Männer das Wort führten. Und nun trat die Situation ein, dass die Volkskammer beschlossen hatte, dass auch die Frauen in die allgemeine Wehrpflicht einbezogen werden sollten in drei Fällen: Vorbereitung der Mobilmachung, im Mobilmachungsfall und im Verteidigungsfall. Das war für uns ein Anlass, speziell als Frauen dagegen zu intervenieren. Wir schrieben einen Brief an die Volkskammer oder an den Staatsrat, das weiß ich jetzt nicht mehr genau, mit dem Inhalt, dass wir in der Einbeziehung von Frauen in die Wehrpflicht keinen Akt der Gleichberechtigung sehen, sondern eher einen Widersinn gegen unser Frausein. Wir wollen uns für Frieden einsetzen und nicht die Militarisierung befördern. Wir wollen den Kreis der Gewalt durchbrechen. Und dafür haben wir Unterschriften gesammelt.
Während dieser Unterschriftensammlung sind wir mit vielen Frauen ins Gespräch gekommen. Für manche war es das erste Mal, dass sie sozusagen alleine als Frau ohne Absprache mit dem Mann eine Entscheidung getroffen haben, z. B. ihre Unterschrift darunterzusetzen. Dann haben wir uns als Frauen zusammengesetzt und machten die Erfahrung, dass die Frauen, die oft in den gemischten Runden sehr zurückhaltend waren, eigentlich gute Gedanken hatten und auch reden konnten. Wir hatten den Eindruck, dass wir eigentlich auch gut als Frauengruppe Aktionen machen könnten und sollten, dass wir auch in der Lage sind, eine ganz besondere Atmosphäre miteinander herstellen zu können.