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Gemeinsames Plädoyer: 150 Frauen protestieren bei Erich Honecker gegen das neue Wehrdienstgesetz, nach dem im Mobilmachungsfall nun auch Frauen zur Landesverteidigung eingezogen werden können (12. Oktober 1982). Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft,...
Gemeinsames Plädoyer: 150 Frauen protestieren bei Erich Honecker gegen das neue Wehrdienstgesetz, nach dem im Mobilmachungsfall nun auch Frauen zur Landesverteidigung eingezogen werden können (12. Oktober 1982). Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft, Seite 1 von 2


Abschrift:

12. Oktober 1982, Gemeinsame Eingabe von 150 Frauen an Erich Honecker gegen das neue Wehrdienstgesetz

Abschrift

Berlin, d. 12.10.82

Staatsratsvorsitzender
Gen. Erich Honecker
Staatsrat der DDR
1020 Berlin
Marx-Engels-Platz

Eingabe

Geehrter Herr Staatsratsvorsitzender !

In diesem Brief möchten wir Ihnen einige Gedanken vorlegen, die uns seit der Verabschiedung des neuen Wehrgesetzes vom 25.3.1982 in Bezug auf die Wehrpflicht der Frauen bewegen.
Wir sind Frauen mit und ohne Kinder, katholisch, evangelisch oder nicht kirchlich gebunden, einige von uns haben einen Krieg erlebt, anderen ist diese böse Erfahrung erspart geblieben, aber eines verbindet uns, daß wir nicht gleichgültig sind und nicht unsere schweigende Zustimmung zu einem Gesetz geben wollen, das den Frauen ganz neue Pflichten auferlegt, die nicht mit unserem Selbstverständnis zu vereinbaren sind.

Wir Frauen wollen den Kreis der Gewalt durchbrechen und allen Formen der Gewalt als Mittel zur Konfliktlösung unsere Teilnahme entziehen.

Wir Frauen sehen den Armeedienst für Frauen nicht als Ausdruck ihrer Gleichberechtigung, sondern als einen Widersinn zu ihrem Frausein.
Wir sehen unsere Gleichberechtigung dem Mann gegenüber nicht darin, daß wir neben den Männern stehen, die die Waffen in die Hand nehmen, sondern neben denen, die wie wir erkannt haben, daß die Abstraktionen „Feind“ und „Gegner“ eigentlich Menschenvernichtung bedeuten, die wir ablehnen.

Wir Frauen verstehen die Bereitschaft zum Wehrdienst als eine Drohgebärde, die dem Streben nach moralischer und militärischer Abrüstung entgegensteht und die Stimme der menschlichen Vernunft im militärischen Gehorsam untergehen läßt.

Wir Frauen fühlen uns besonders dazu berufen, das Leben zu schützen, die alten, kranken und schwachen Menschen zu unterstützen. Gegen den Krieg und für den Frieden tätig zu sein, kann nur im sozialen und erzieherischen Bereich geschehen, wenn wir nicht vor der künftigen Generation versagen wollen.

Wir Frauen wehren uns dagegen, daß wir eines Tages in den Reihen der NVA stehen und ein Land verteidigen, das unbewohnbar sein wird, selbst nach einem konventionellen Krieg, der in Europa wahrscheinlich in einer nuklearen Katastrophe enden würde.

Wir Frauen glauben, daß die Menschheit heute an einem Abgrund steht und daß die Anhäufung von weiteren Waffen nur zu einer wahnsinnigen Katastrophe führt. Dieser schreckliche Untergang kann vielleicht verhindert werden, wenn alle Fragen, die sich aus dieser Tatsache ergeben, öffentlich diskutiert werden. Laut Art. 65 Abs. 3 der Verfassung der DDR sind Entwürfe grundlegender Gesetze vor ihrer Verabschiedung der Bevölkerung zur Erörterung zu unterbreiten, um die Ergebnisse der Volksdiskussion bei der endgültigen Fassung auszuwerten. Unserer Meinung nach handelt es sich um ein grundsätzliches Gesetz aufgrund seiner Thematik und nicht zuletzt deshalb, weil die Hälfte der Bevölkerung der DDR unmittelbar betroffen ist (Stat. Taschenbuch der DDR 1981).

Wir Frauen erklären uns nicht dazu bereit, in die allgemeine Wehrpflicht einbezogen zu werden und fordern eine gesetzlich verankerte Möglichkeit der Verweigerung. Das Recht der Verweigerung ist notwendig, weil sich durch Erlaß dieses Gesetzes, das den Frauen die Pflicht zu einem allgemeinen Wehrdienst auferlegt, eine Einschränkung unserer Gewissensfreiheit ergibt.
Da zu diesem Gesetz keine öffentlichen Diskussionen möglich waren, haben einige von uns diese auf dem Weg der Eingabe erbeten, andere hofften, sich an den daraus ergebenden Gesprächen beteiligen zu können. Leider sind diese Erwartungen enttäuscht worden, denn es fand sich niemand bereit, ein Gespräch über die uns so dringend beschäftigenden Fragen zu beginnen.

Die Rede, die das Akademiemitglied Prof. Atbatow auf dem Friedenskongreß der Weltreligionen in Moskau gehalten hat, ermutigte uns, uns noch einmal mit unseren Fragen an Sie zu wenden. Wir sprechen die Bitte aus, daß auch die für dieses neue Wehrdienstgesetz Verantwortlichen die Bereitschaft aufbringen, ein offenes Gespräch zu führen. Sicher ist ihnen diese Rede bekannt, trotzdem möchten wir einige Sätze zitieren.

Prof. Atbatow geht u.a. auf die psychologischen und moralischen Verbündeten des Wettrüstens ein und erwähnt dabei den Mythos, daß die Anhäufung von Waffen und Streitkräften zur Sicherheit beitragen würden. „Alle diese Mythen fördern das Wettrüsten. Man versucht, sie heute in die Form komplizierter Auffassungen und Rätsel zu hüllen, indem man eine für Laien unverständliche Terminologie gebraucht. Ich schließe nicht aus, daß das speziell gemacht wird, um sich von „Uneingeweihten“, vom „Mann auf der Straße“ zu distanzieren. Man sagt sogar manchmal, man solle diesen Mann nicht zu Fragen der Kernwaffen, zu Problemen von Krieg und Frieden heranlassen, denn er werde alles durcheinanderbringen und schaden. Aber meiner Meinung nach ist das der größte, gefährlichste und schädlichste Mythos...
Dieses Problem soll mit aktiver Teilnahme aller gelöst werden, ... wenn sie den Menschen und nicht den Waffen dienen wollen“. (Begegnung 8/82).

Ein besseres Plädoyer für die Notwendigkeit unserer Eingabe hätten wir nicht finden können.
Wir bitten Sie, uns die Möglichkeit für ein offenes Gespräch zu geben.

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