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Beschimpft und geschlagen: Am 18. März 1983 schreibt die Friedensgemeinschaft Jena einen ersten Protestbrief an Erich Honecker. Seite 1 von 2

Beschimpft und geschlagen: Am 18. März 1983 schreibt die Friedensgemeinschaft Jena einen ersten Protestbrief an Erich Honecker. Einen Tag später erhält der DDR-Staats- und -Parteichef einen weiteren Protestbrief, der sich auf die Repressionen bei der...
Beschimpft und geschlagen: Am 18. März 1983 schreibt die Friedensgemeinschaft Jena einen ersten Protestbrief an Erich Honecker. Einen Tag später erhält der DDR-Staats- und -Parteichef einen weiteren Protestbrief, der sich auf die Repressionen bei der Kranzniederlegung am 19. März 1983 bezieht.
Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft, Seite 1 von 2

Abschrift:

Werter Herr Staatsratsvorsitzender Erich Honecker !

In unserer tiefen Erschütterung über die Ereignisse zur heutigen Friedensdemonstration, die 16.00 Uhr anlässlich des 38. Jahrestages der Bombardierung Jenas durch anglo-amerikanische Flugzeuge stattfand, erlauben wir uns, Ihnen dieses Schreiben zu senden.
Zu den Teilnehmern der gen. Veranstaltung gehörten neben den Arbeitern aus den städtischen Betrieben, den Studenten, Universitätsangehörigen und Schülern, auch wir, das sind junge Christen und nicht konfessionell Gebundene, die sich in einem Friedenskreis vorrangig für internationale Abrüstung und der Ächtung der ABC-Waffen widmen.
Die Demonstration besuchten wir mit unseren selbst gefertigten Plakaten, auf denen wir unserem Friedenswillen Ausdruck verliehen. Die Losungen lauteten:

Frieden für alle
Gegen Militarisierung des Lebens
Verzicht auf Gewalt
Frieden schaffen ohne Waffen

Unsere kleine Formation, Frauen und kleine Kinder waren auch dabei, ging mit den Transparenten bis auf den Marktplatz, wo sich alle Teilnehmer versammelten. Unser Kreis nahm dort friedlich Aufstellung, um die Ansprache anzuhören. Plötzlich begannen mehrere Personen, uns die Plakate und Spruchbänder zu entreißen. Es wurde mit brutaler Gewalt und Beschimpfungen gegen uns vorgegangen. Da selbst unsere Kinder stark gefährdet waren, z. B. wurde ein Kind beim Entwenden der Plakate zu Boden gerissen, war es uns nicht möglich, weiter an der Friedensmanifestation teilzunehmen. Mit dem Ruf „Bringt die Kinder in Sicherheit!“ verließen wir den Platz.
Durch die gegen uns gerichtete Provokation war es uns nicht möglich, den Opfern des Bombenterrors zu gedenken, für Frieden in der Welt einzutreten.
Durch die beschriebene Maßnahme gegen uns wurde die Veranstaltung gestört, die Bürger, die diesem friedlosen Zwischenfall beiwohnen mussten, waren erschüttert vom Auftreten der Gewalt. Ausgehend von den von Ihnen gemachten Vorschlägen zum Thema Frieden möchten wir Sie bitten, und erwarten, dass Sie veranlassen, die Verursacher der gegen uns und unseren Friedenswillen gerichteten gewalttätigen Provokationen zur Verantwortung zu ziehen.
Im heutigen Friedensgottesdienst, den der Landesbischof Leich hält in der Jenaer Friedenskirche, wenden wir uns mit diesem Schreiben an die Öffentlichkeit.

Hochachtungsvoll

Jena am 18.3.1983






Werter Herr Staatsratsvorsitzender !

Noch schockiert von den gestrigen Ereignissen, die wir Ihnen in unserem Brief vom 18.3.83 darlegten, sind wir abermals in unserer Friedensbekundung behindert worden. Aus dieser Betroffenheit heraus sehen wir uns gezwungen, uns erneut an Sie zu wenden.
Unsere Gedenkminute zu Ehren der Opfer der Bombardierung Jenas, die wir am 8.3.83 auf den zuständigen Stellen anmeldeten, wurde uns untersagt, mit dem Hinweis, uns an der Friedenskundgebung am 18.3.83 und an der Kranzniederlegung am 19.3.83 zu beteiligen. Wir schlossen uns am 19.3.83 dem Trauerzug der Bürger Jenas an und legten am Mahnmal unseren Kranz mit der Aufschrift: In ehrendem Gedenken – Friedensgemeinschaft Jena und dem Friedenssymbol ‚Schwerter zu Pflugscharen` nieder. Während wir gedenkend schwiegen, wurden unsere Kranzschleifen von mehreren Zivilpersonen unkenntlich gemacht. Gleichzeitig wurden wir von Ordnungskräften abgedrängt. Wir sehen uns nicht nur durch die Opfer des Bombenangriffs auf Jena am 19.3.1945, sondern auch durch das gegen uns angewandte Verhalten gemahnt, wie wichtig die Bewahrung des Friedens ist.

Werter Herr Staatsratsvorsitzender !

Durch diesen Brief nutzen wir die Möglichkeit, Sie als Vorsitzenden unseres Staates anzusprechen und Sie auf die Geschehnisse aufmerksam zu machen. Wir erwarten und bitten darum, dass die Schändung unseres Gedenkens und unserer Friedensbekundung nicht ungestraft bleiben.

Hochachtungsvoll


Jena, den 19.3.83

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