Katrin Hattenhauer
Katrin Hattenhauer wächst in Nordhausen auf. Die kleine Stadt liegt in einer ländlichen Region, die durch ihre Lage an der innerdeutschen Grenze geprägt ist. Regelmäßig besuchen Verwandte der Großmutter die Familie. Auch als Kind realisiert Katrin, dass sie selbst wohl nie die Möglichkeit haben wird ihre Verwandten zu besuchen oder zu erfahren, wie deren alltägliches Leben aussieht.
Die Diskrepanz zwischen staatlicher Propaganda und ihrem Leben wird Katrin jeden Tag vor Augen geführt. Etwa, wenn sie in der Zeitung vom Erfolg der sozialistischen Wirtschaft liest, aber ihre Mutter in der Kaufhalle an der Kasse oft wieder Sachen zurückgeben muss, weil das Geld doch nicht reicht. Oder, wenn sie daran denkt, dass die Bevölkerung der DDR eingesperrt und durch eine Mauer von ihren Verwandten in Westdeutschland getrennt leben muss.
Nach einer langen Krankheit verwehrt ihr der Staat eine Zulassung zur Erweiterten Oberschule (EOS) und nimmt ihr somit alle Perspektive auf eine erfolgreiche Karriere nimmt, ist das Maß voll. Sie schwört sich, dem System, das sie fallen gelassen hat, zum einen keine Gefolgschaft mehr zu leisten. Zum anderen will sie den „DDR-Oberen“ zeigen, dass auch sie ein wertvoller Teil der Gesellschaft sein und diese zum Guten beeinflussen kann – wenn auch nicht in deren Sinn.
Noch in ihrer Schulzeit engagiert sie sich in einer kirchlichen Umweltgruppe in ihrer Heimatstadt Nordhausen. Bis in die 1980er Jahre belastete sogenannter saurer Regen die Wäldern im Harz. Um der Entlaubung des Waldes entgegen zu wirken, beteiligte sich Katrin an den Baumpflanzaktionen der Gruppe. Durch ihre Mitarbeit in der Nordhausener Gruppe wird sie für die Umweltprobleme in der DDR sensibilisiert. Als am 26. April 1986 im sowjetischen Tschernobyl ein Atomreaktor explodierte, traut sie den offiziellen Verlautbarungen der DDR-Regierung nicht mehr.
Die Wachsmatrize im Studentenzimmer
1988 beginnt Katrin ein Studium am theologischen Seminar in Leipzig. Als einzige Frau hat sie in diesem Jahr einen der begehrten Plätze für das Theologie Studium an der kirchlichen Lehranstalt erhalten. Katrin ist überzeugt von ihrem Studium und will später auch als Pfarrerin arbeiten. Umso tiefer sitzt der Schmerz als sie bereits nach einem dreiviertel Jahr wegen ihrer Mitarbeit im Arbeitskreis Gerechtigkeit (AKG) vom Studium ausgeschlossen wird.
Der Arbeitskreis Gerechtigkeit war eine streng hierarchisch organisierte und konspirativ arbeitende Oppositionsgruppe, die die Ressourcen der Kirche nutzte, aber sich selbst nicht als kirchliche Gruppe verstand. Katrin wird schon zu Beginn ihres Studiums am theologischen Seminar von ihrem Mitstudenten Rainer Müller (22) gefragt, ob sie sich nicht am Arbeitskreis beteiligen wollen würde. Wenig später ist Katrin Mitglied einer kleinen, aber hochaktiven Gruppe junger Leute, die nicht nur über philosophische Fragen diskutieren und über die Widersprüche im Sozialismus in ihrem Land sprechen, sondern auch mit zahlreichen, meist illegalen, Aktionen auf ihre die Umstände in der DDR aufmerksam machen.
Als der Arbeitskreis Gerechtigkeit einen sicheren Raum für eine Druckmaschine sucht, stellt Katrin ihr Zimmer im Konvikt des theologischen Seminars zur Verfügung. Die illegale Maschine nimmt einen Großteil des kleinen Zimmers ein und ist nicht zu übersehen. Da es sich um einen kirchlichen Raum handelt, müssen Durchsuchungen allerdings erst angemeldet werden, was Katrin genügend Zeit gibt, die Maschine in einem Zimmer einer ihrer Kommilitoninnen oder eines Kommilitonen zu verstecken. Damit Niemand aus der Gruppe in einem möglichen Verhör das Versteck der Druckmaschine verraten kann, wissen nur Katrin und der Sprecher der Gruppe, Thomas Rudolph (26), von dem Standort des Vervielfältigungsgerätes.
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„Der Bewegung ein Gesicht geben!“
Katrin erkennt, dass diese Geheimhaltung wichtig ist für die Arbeit der Gruppe und für den Schutz ihrer Mitglieder. Aber ihr reicht es nicht, dass die Gruppe unter sich bleibt: Sie träumt von einer Bewegung, die sich für demokratische Reformen in der DDR einsetzt. Mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen, wie dem Straßenmusikfestival am 10. Juni 1989, will sie auch die Teile der Bevölkerung erreichen, die nicht auf den Veranstaltungen der kirchlichen Gruppen zu finden sind oder sich im alternativen Kreisen aufhalten.
Zusammen mit ihrer Freundin Gesine Oltmans (24) entrollt Katrin nach dem Friedensgebt am 4. September 1989 ein Transparent auf dem Leipziger Nikolai-Kirchhof. „Für ein freies Land mit offenen Menschen“ steht darauf geschrieben, gut sichtbar für viele internationale Journalisten. Diese befinden sich auf Grund der Leipziger Messe und gerade in der Stadt. Das Transparent wird ihnen bereits nach wenigen Metern von Mitarbeitern der Staatssicherheit wieder entrissen. Doch die Bilder gehen um die Welt und die Menschen vor den Bildschirmen sehen Katrin, wie sie zusammen mit anderen mutigen jungen Leipzigern den Protest aus der Nikolaikirchen auf die Straße trägt.
Doch für ihren mutigen Protest zahlt Katrin einen hohen Preis. Katrin ist schon vorher bewusst, dass sie mit dieser Aktion eine Grenze überschreiten würde. Am 11. September wird sie wie schon viele Male zuvor verhaftet. Doch die Verhaftung läuft nicht wie eine der zahlreichen Zuführungen ab, bei denen sie wenig später wieder freigelassen wird. Dieses Mal wird ihr ein Haftbefehl vorgelegt. An Katrin soll ein Exempel statuiert werden. Das Zeichen an die anderen Oppositionellen: Eine Aktion, wie die am 4. September vor der Nikolaikirche, wird hart bestraft. Katrin wird erst am 13. Oktober wieder aus der Haft entlassen. Zu diesem Zeitpunkt hat die DDR-Regierung schon vor den demonstrierenden Leipzigern kapituliert.
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