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Gethsemane-Kirche und -gemeinde

Die 1893 erbaute Gethsemane-Kirche im Stadtbezirk Berlin Prenzlauer Berg schreibt vor allem im Herbst 1989 Geschichte.

Schon immer ist die Gemeinde offen und politisch interessiert. Neben den Gemeindeaktivitäten (Berufstätigenkreise, Junge-Gemeinde-Gruppen, Jugendbibelkreis, Seniorenkreise, Christenlehre) arbeiten hier ein Friedenskreis mit dem Namen Arbeitskreis für christliches Friedenszeugnis (1982), eine Lesbengruppe (1985) und der anfänglich in der Gethsemanegemeinde beheimatete Arbeitskreis Staatsbürgerschaftsrecht der DDR (1988).

Dem wachsamen Auge des Staats bleibt dies natürlich nicht verborgen. Als die Kirche für die Verhafteten der Demonstration zu Ehren von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am 17. Januar 1988 Fürbittandachten abhält, wird der Gemeindepfarrer zum Rat des Stadtbezirks Prenzlauer Berg beordert, zum Chef der Abteilung Inneres Wiesecke. Dort wird der Pfarrer von der Stasi bedroht: „Wir haben da ganz andere Möglichkeiten, und wenn wir es wollen, wird die volle Kirche beräumt, also passen Sie darauf auf, dass es nicht zu staatsfeindlichen Ausschreitungen kommt!!!“. Trotzdem geht die politische Arbeit weiter.

Nicht unerwähnt bleiben darf die Einrichtung des Kontakttelefons unter der Nummer des Büros der Gemeinde. Dort laufen Ende der 1980er Jahre die Informationen über Verhaftungen und Demonstrationen und deren Folgen zusammen. Das Kontakttelefon bewährt sich vor allem in den Oktobertagen 1989.

Am 1. Oktober 1989 stimmt der Gemeindekirchenrat der Gethsemane-Kirche dem Antrag einer Gruppe zu (die vorwiegend aus Sozialdiakon-Schülern bestehen). Sie schlagen Mahnwachen an und in der Kirche vor – verbunden mit der Forderung, vier in Leipzig inhaftierte Jugendlichen frei zu lassen.

Allabendlich halten die Pfarrer der Gemeinde, Elisabeth Eschner, Bernd Albani und Werner Widrat, Fürbittgottesdienste ab – verbunden mit Informationen, die durch das Kontakttelefon aus allen Teilen der DDR eintreffen. Die Kirche ist mit über 3.000 Menschen überfüllt. Zeitgleich hält die Theologiestudentin Angela Kunze ein Gedenkfasten im Kircheninneren ab, dem sich rasch eine immer größer werdende Zahl junger Frauen und Männer anschließen.

Zum Schutzraum vor physischer Gewalt wird die Kirche in den Tagen des 7. bis 9. Oktober 1989. Am 7. Oktober 1989 werden Demonstranten in der Nähe der Kirche von bewaffneten Sicherheitskräften aufgehalten, eingekesselt und zusammengeschlagen. Es erfolgen Verhaftungen, auch von Passanten und Anwohnern. Viele Menschen flüchten auf das Kirchengelände und in die Kirche, die daraufhin stundenlang regelrecht abgeriegelt ist.

In den darauf folgenden vier Tagen wird die Kirche zum Treffpunkt für viele Verzweifelte, die ihre verhafteten Angehörigen suchen, aber auch für Journalisten und Fernsehteams aus aller Welt, die hier aktuelle Informationen über das Kontakttelefon erhalten. Hier werden auch die Gedächtnisprotokolle der Verhafteten gesammelt.

Quelle: Gemeindekirchenrat der Evangelischen Gethsemane-Kirchengemeinde (Hg.), Gethsemane-Kirche Berlin, Berlin 1996.


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