Der 15. Oktober 1950 ist der Tag, an dem in der DDR erstmals Wahlen zur Volkskammer sowie zu den Landtagen und Kommunalvertretungen stattfinden. Zur Abstimmung steht eine Einheitsliste der Kandidaten der Nationalen Front. Damit wird dem Wahlvolk jegliche Entscheidung genommen: Entweder stimmt der Wähler der gesamten Liste zu, oder er lehnt sie ab. Es ist nicht möglich, einzelne Abgeordnete zu wählen.
Der Wahlakt selbst ist nicht mehr als die bloße Abgabe der Stimmzettel. Offiziell wird bekannt gegeben, dass die Einheitsliste bei der Wahl 1950 eine Zustimmung von 99,7 Prozent erhalten hat. Viele Jugendliche vermuten deshalb Wahlbetrug.
Am 15. Oktober 1950 werden die Weichen gestellt: Sämtliche Urnengänge in den folgenden Jahrzehnten sind ebenfalls Scheinwahlen. Freie Wahlen werden erst möglich, als ein Ende der DDR bereits abzusehen ist: am 18. März 1990. Zu diesem Zeitpunkt muss sich die SED dem Druck der Friedlichen Revolution vom Herbst 1989 beugen.
Zitierempfehlung: „Keine Wahl – Die Volkskammerwahlen von 1950“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung Dezember 2019, www.jugendopposition.de/145343
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„Unsere Gruppe hatte sich etwa im Sommer 1950 gebildet, und die erste Aktion waren Flugblätter gegen die Volkskammerwahlen. Wir haben später noch paar Mal andere Flugblätter hergestellt. Aber unmittelbar nach dieser Aktion, die wir selber als positiv eingeschätzt haben, gab es viele Diskussionen in der Kleinstadt Werdau. Ich hörte zu, wie die sich unterhielten: Es sind Flugblätter verteilt worden`. Man tat so, als ob man das das erste Mal hörte.
Jedenfalls haben wir gesagt: Sie auf so primitive Art und Weise mit so einem Handdruckkasten Buchstabe für Buchstabe zusammen zu setzen, das geht auf Dauer nicht. Wir wollen doch weiter machen. Dann hatten wir eine Gruppenleitersitzung, so der harte Kern. Wir kamen auf die Idee: West-Berlin, da gibt es vielleicht Möglichkeiten der Unterstützung. Wir wollten kein Geld haben, sondern materielle Unterstützung, vielleicht in Form von fertigen Flugblättern, oder entsprechende technische Hilfe. Das war das eine. Ich hatte noch etwas anderes eingebracht in die Diskussion: Es wäre vielleicht ganz gut, wenn in West-Berlin jemand wüsste, dass es in Werdau eine Widerstandsgruppe gibt. Man kann ja nicht wissen, ob das nicht notwendig ist. So eine Art Rückversicherung für den Fall, dass uns etwas passiert. Denn unseren Eltern konnten wir uns nicht anvertrauen.
Unsere Eltern wussten wirklich nichts davon. Ich bin nachts aus dem Fenster gestiegen, nachdem ich ins Bett gegangen war, hab meine Flugblätter verteilt aus meinem Bündel, das mir zugeteilt worden war. Anschließend bin ich wieder durch das Fenster eingestiegen. Am nächsten Tag kam mein Vater am Nachmittag oder am Abend von der Arbeit zurück und sagte: Es sind wieder Flugblätter verteilt worden, 'ne tolle Sache. Mach bloß du nicht so was, viel zu gefährlich`. Ich hab gesagt: Nee, ich nicht. Du weißt doch, ich bin FDJ-Funktionär!`. So in dem Stil.“
Quelle: Zeitzeugeninterview mit Achim Beyer am 11. Oktober 1998, Sächsischer Landesbeauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur