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Katrin Hattenhauer, Fastenaktion, RHG/RG/S/1/1

Das ist ein deutschsprachiges Dokument mit der Überschrift Erklärung. Es handelt sich um einen getippten Text auf einem gelblichen Papier. Oben rechts ist eine Signatur zu erkennen. Am Ende des Dokuments stehen zwei handschriftliche Unterschriften.
Information über eine Fastenaktion in der Thomaskirche am 27. August 1989. Die Verfasser, unter anderem Katrin Hattenhauer, vergleichen die DDR mit einem System der Leibeigenschaft und sprechen von einer „Absolutismus einer privilegierten Minderheit“. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/RHG/RG/S/1/1


Abschrift:

ERKLÄRUNG

Beim aufmerksamen Hören – Sehen – Empfinden in diesem Land, beim Erleben seiner Menschen und dem Sich-Selbst-Erleben mit all seinen Abhängigkeiten, Konfrontationen, Zwängen, Ängsten, Beschneidungen und dem damit fehlenden Spielraum an Möglichkeiten in der eigenen Persönlichkeit, drängt sich der Vergleich einer Leibeigenschaft auf.
Wir sind verplant in Strukturen, die uns bedrängen, vereinzeln und ohnmächtig machen. Sie äußern sich im Aufdiktieren von Meinungen und Handlungsweisen, im Ausgeliefertsein an eine bis ins kleinste vom Staat kontrollierte gesellschaftliche Öffentlichkeit sowie der Absolutismus einer privilegierten Minderheit. Dies sind wohl auch hauptsächliche Ursachen der fehlenden Partizipation in Politik und Wirtschaft. Sprechend hierfür sind Erscheinungen wie Teilnahmslosigkeit am gesellschaftlichen Zusammenleben, Erstarrung des geistig kulturellen Lebens, fehlende Arbeitsmotivation, Resignation, Hoffnungslosigkeit bis hin zu erschreckend massiven Ausreisewellen.
Ausweglosigkeit, Sinnentleerung, fehlende Mitsprache- und Gestaltungsmöglichkeiten sind Zeichen eines Systems der Bevormundung.
Es macht Schaudern zu bedenken, dass die Einheit des Wollens von Volk und Partei der SED als Grundstein der Gesellschaft gelegt ist, tatsächlich aber die Parteiführung als das für uns einzig gesetzgebende Organ gilt. Schaudern darum, weil diese exklusive Minderheit ein Deutungs- und Interpretationsmonopol für sich in Anspruch nimmt.
Wir suchen nach Wegen und Zeichen die aus dieser Apathie führen. Wir selbst fühlen uns besetzt und überfremdet. Wir wollen nicht länger verharren in einem Zustand der Teilnahmslosigkeit und Gleichgültigkeit. Wir sind auf der Suche nach neuen Ansätzen. Deshalb wählen wir als Zeichen eines möglichen Neuanfangs das FASTEN. Denn Fasten heisst [sic!] für uns Umkehr. Wir stellen uns damit in eine Tradition christlichen Handelns, die auf Erneuerung zielt und die die Umkehr Wirklichkeit werden lassen will.
Fasten ist ein den ganzen Menschen, in seiner Einheit von Körper und Geist, reinigendes Handeln, das uns befreit von den uns umgebenden Zwängen und uns öffnet für eine neue Selbstwahrnehmung.
Mit der Verweigerung der Nahrungsaufnahme wollen wir unseren Körper als Gefass [sic!] bereitmachen für neue Inspirationen.
„Die Ideale einer besseren Welt und die Träume davon sind nämlich eine nicht wegzudenkende Dimension jedes wirklichen Menschseins, ohne sie und ohne die Transzendenz des „Gegebenen“, die sie vorstellen, verliert das menschliche Leben Sinn, Würde und seine Menschlichkeit selbst.“ V. Havel
Wir können das Bedroht- und Betroffensein nicht mehr anders ertragen, als fastend und betend.

WIR BETEN UM EINKEHR? ABKEHR UND UMKEHR!

Wir beten um Abkehr von der uns erfassten Gleichgültigkeit und Resignation in unserer Gesellschaft.

Wir beten um Weisheit und Mut, damit wieder Heimat werde, was vielen nur noch Enge und Gefängnis ist.

Wir beten um Gottes Beistand und um die erneuernde und gestaltende Kraft der Vergebung für unsere Gesellschaft.
Mögen alle, die wir nicht mehr ertragen können, was und bedroht und bedrängt sich auf den Weg des Neuanfangs wagen.

LASST UNS DER SDADT [sic!] BESTES SUCHEN:

Katrin Hattenhauer
Jens Koch

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