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Menschenrechte/Ereignisse an der Ossietzky-Oberschule/EP 07

Offener Brief des Stadtjugendpfarramts Berlin zur Ossietzky-Schulen-Affäre vom 4. November 1988. Quelle: RHG/ EP 07
Offener Brief des Stadtjugendpfarramts Berlin zur Ossietzky-Schulen-Affäre vom 4. November 1988. Quelle: RHG/ EP 07


Abschrift:

Offener Brief des Stadtjugendpfarramtes Berlin zur Ossietzky-Schule-Affäre

An alle Berliner Gemeinden
Berlin, am 04.11.88

Offener Brief
In großer Sorge und Betroffenheit wenden wir uns an Gemeinden in einer Angelegenheit, die seit Wochen Beunruhigung, Angst und Empörung auslöst.
In der "Carl-von-Ossietzky" EOS in Berlin-Pankow gab es eine Möglichkeit des freien Meinungsaustauschs, den man als beispielhaft bezeichnen kann. Dieser positive Ansatz ist nicht durchgehalten worden: Gegen einige Schüler, die sich kritisch und konstruktiv mit Gegenwartsfragen auseinandersetzen und dies in Artikeln zum Ausdruck gebracht haben, sind schwere Schulstrafen verhängt worden: Vier wurden von der Schule relegiert, zwei weitere wurden an andere Schulen versetzt, zwei erhielten einen Verweis.
Diese Vorgänge, durch die das Vertrauen von Schülern mißbraucht wurde, fordern unseren Protest heraus. Wir wissen uns in diesem Protest einig mit vielen, die direkt und indirekt betroffen sind.
Mit Gemeindegliedern, weil wir als Christen nicht schweigen dürfen, wenn Unrecht geschieht, und weil Entmündigung, Unterstellungen und ungerechte Strafen im Widerspruch zum Evangelium stehen. Es gehört zu unserem Auftrag, dies in der Öffentlichkeit auszusprechen.
Mit Eltern, weil wir wollen, daß unsere Kinder zu aufrichtigen Menschen heranwachsen, deren Kreativität, Spontanität und Ehrlichkeit nicht unterdrückt werden. Der Anpassungsdruck, dem unsere Kinder ausgesetzt werden, schädigt die heranwachsende Generation und damit unsere ganze Gesellschaft.
Mit Pädagogen in Schulen, Kindergärten, Krippen und Heimen, weil über Unterschiede im pädagogischen und weltanschaulichen Ansatz hinweg, die Achtung vor der Persönlichkeit von Kindern und Jugendlichen zu unser aller Berufsauffassung gehört. Es ist unverträglich, wenn Mitarbeiter der Volksbildung durch Falschinformation oder Einschüchterung daran gehindert werden, die Interessen Jugendlicher zu vertreten und sie partnerschaftlich in ihrem Ringen um weltanschauliche und politische Positionen zu begleiten.
Wir rufen dazu auf:
sich und andere genau über die Vorgänge in der Ossietzky-Oberschule zu informieren und Meinungen dazu öffentlich zu diskutieren. (Eine Dokumentation dazu liegt diesem Schreiben bei)
das Thema Volksbildung verstärkt in die inhaltliche Arbeit der Gemeinden einzubeziehen. Dabei können die Erfahrungen von einzelnen und Gruppen genutzt werden, die seit langem an dieser Thematik arbeiten. (Wir sind ggf. bereit, Kontakte herzustellen)
den Inhalt dieses Briefes und der Dokumentation in Gottesdiensten, Gruppen und anderen Gemeindeveranstaltungen bekanntzumachen und dafür auch die Veranstaltungen der Friedensdekade zu nutzen.
das Gespräch mit allen zu suchen, deren Anliegen es ist, sich kritisch und konstruktiv mit unserem Bildungswesen auseinanderzusetzen – über weltanschauliche Grenzen und Gemeindegrenzen hinweg.

Dieser Brief wurde von Berliner Jugendmitarbeitern angeregt und formuliert. Die beiliegende Dokumentation stützt sich auf Aussagen Betroffener.

Mit Grüßen aus dem Stadtjugendpfarramt
Unterschrift von Marianne Birthler

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