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Folgenschwere Stellungnahme: Am 29. November 1976 erklärt Roland Jahn, Student der Wirtschaftswissenschaften, dass er die Ausbürgerung von Wolf Biermann nicht gutheißt. Im Februar 1977 wird er von der Universität exmatrikuliert. Quelle: BStU, MfS,...
Folgenschwere Stellungnahme: Am 29. November 1976 erklärt Roland Jahn, Student der Wirtschaftswissenschaften, dass er die Ausbürgerung von Wolf Biermann nicht gutheißt. Im Februar 1977 wird er von der Universität exmatrikuliert. Quelle: BStU, MfS, HA XX 16922/91, Seite 1 von 3


Abschrift:

Stellungnahme von Roland Jahn zur Ausbürgerung von Wolf Biermann

Information zu Roland Jahn

Nachfolgend die Abschrift der schriftlichen Stellungnahme von Roland Jahn in Sachen Biermann, einzusehen bei Professor Kaufmann


Roland Jahn
Wirtschaftswissenschaften Jena, den 29.11.76
II. Studienjahr SG 21


Stellungnahme

Bei all meinen Gedanken und Äußerungen gehe ich von der Grundposition der Idee des Kommunismus aus.
Ich bemühe mich, mitzuarbeiten bei der Entwicklung des Sozialismus, bei der Stärkung meines Vaterlandes, der DDR. Mitarbeiten heißt unter anderem, allen Dingen und Prozessen kritisch gegenüberstehen, mitdenken, sich einmischen. Dies bedeutet, daß ich mich verpflichtet fühle, mir Gedanken um die Welt und die Menschen, die in ihr leben, zu machen. Es bedeutet Stellung nehmen.

Eine wichtige Quelle der Entwicklung des Sozialismus liegt im kritischen Meinungsstreit. Dabei muß das eigentliche Ziel des Kommunismus stets vor Augen sein. Es ist notwendig, daß jeder seine Meinung frei und ehrlich äußert. Dabei darf er in keiner Weise eingeschränkt werden. Niemand darf sich sklavisch einer allgemeinen Meinung unterwerfen oder versuchen, seine Gedanken in diese zu pressen. Nur mit dem, was ehrlich ausgesprochen wurde, kann man sich kritisch auseinandersetzen. Das Bewußtsein der Menschen, welches eine große Rolle bei der Schaffung der kommunistischen Gesellschaft spielt, darf kein geheucheltes oder aufgezwungenes sein. Es muß sich durch Überzeugungen, das heißt Herrschaft der Argumente und Selbsterkenntnis der Menschen entwickeln.
Ich bin der Meinung, man müßte die Aberkennung der Staatsbürgerschaft des DDR-Bürgers Wolf Biermann noch einmal überdenken.

Unser sozialistischer Staat ist stark.
Er ist fähig, Meinungen, wie die Biermanns, gelassen und nachdenkend hinzunehmen. Der real existierende Sozialismus hat es und darf es nicht nötig haben, auf diese administrative Weise Meinungswidersprüche zu klären. Biermann hat sich kritisch, scharf, verallgemeinernd über die DDR geäußert. Er zeigt richtig einige Schwächen in unserem Lande auf, begeht dabei aber den Fehler, sie zu scharf, verallgemeinert und unrealistisch darzustellen. In seinem Drang, Widersprüche aufzudecken, steigert er sich oft zu überspitzten Äußerungen. Seine Darstellungen werden demzufolge oft falsch und spiegeln nicht das real Existierende wider. Biermann tut dies alles durch bürgerliche Massenmedien.
Diese versuchen, die Äußerungen Biermanns in ihrer Hetze gegen den Sozialismus und die DDR einzubeziehen. Ich distanziere mich von den hier genannten Fehlern Biermanns.


Ich bin der Meinung, daß wir es nicht nötig haben, durch verdrehte Darstellungen von Äußerungen Biermanns gegen ihn zu argumentieren (einige Veröffentlichungen im ND). Dadurch können bei vielen Menschen gedankliche Probleme auftreten, die uns mehr Schaden als Nutzen bringen.
Biermann hat seit 12 Jahren Auftrittsverbot in der DDR. Das heißt, zu denen er was zu sagen hat, zu denen durfte er nicht sprechen. Somit wurde er praktisch zu seinem Fehler, sich über westliche Medien an die Menschen zu wenden, gezwungen. Ebenso ging es Schriftstellern, die sich in einem offenen Brief gegen die Ausbürgerung Biermanns aussprachen. Es ist zu verurteilen, daß sie sich an westliche Medien zur Veröffentlichung wandten. Doch es bleiben Fragen:

Warum wurden bei uns diese Stellungnahmen nicht veröffentlicht ?
Warum durfte ein Biermann nicht offen seine Meinung sagen ?

Brauchten wir diese Fragen nicht zu stellen, gäben wir den westlichen Medien in diesen Punkten keinen Stoff für ihre Hetze. Dort wo wir schweigen, spricht der Klassenfeind. Nach meiner Meinung müssen wir uns offener mit unseren Problemen auseinandersetzen. Es genügt nicht, das heißt, es ist falsch, widersprechende Auffassungen zu verbieten. Das Bewußtsein unserer Bevölkerung ist gewachsen. Sie ist das echt kritische an Biermann nachdenkend aufzunehmen und über das überspitzte Falsche zu lächeln und es zurückzuweisen. Dann würde auch ein Herr Biermann bald merken, in welchen Punkten er irrt.
Menschen, die sich Gedanken machen um den Sozialismus, auch wenn sie oft falsch sind, können mehr bringen für die Entwicklung desselbigen, als jene, die nur an ihren eigenen Speck denken. Danach versuche ich zu handeln. Mein Anliegen ist es, daß wir unsere Fehler erkennen und beseitigen, denn ein starker Sozialismus ist wichtig bei der Auseinandersetzung zwischen Imperialismus und Sozialismus.
Ich sage meine Meinung offen und ehrlich, damit auch mir meine Fehler gezeigt werden können. Ich studiere und lerne, damit ich meine Fehler überwinden kann, um besser mithelfen zu können bei der Entwicklung des Sozialismus.

gez. Roland Jahn

Inzwischen fand eine Parteiversammlung mit den Genossen des zweiten Studienjahres statt, in der die in der Auseinandersetzung von Roland Jahn vertretene und der UDL zur Kenntnis gebrachte Position bzw. Meinung bestätigt wurde.

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