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Aufruf „An alle Christen“ des Bruderkreises Prenzlauer Bausoldaten vom 2. März 1966. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft, Seite 2 von 2
Aufruf „An alle Christen“ des Bruderkreises Prenzlauer Bausoldaten vom 2. März 1966. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft, Seite 2 von 2


Abschrift:

Aufruf "An alle Christen" des „Bruderkreises Prenzlauer Bausoldaten“ vom 2. März 1966.



A n a l l e C h r i s t e n


In ernster Sorge wendet sich ein Bruderkreis Prenzlauer Bausoldaten an alle Christen. Mit Beunruhigung beobachten wir Wehrdienstverweigerer die wachsende Aufrüstung in unserem Land. In einem Teil unserer Heimat fordert man das Mitspracherecht über Massenvernichtungsmittel und plant im Rahmen einer neuen Gesetzgebung den Aufbau halbmilitärischer Verbände, im anderen Teil, dessen Bürger wir sind, nimmt die Militarisierung in erschreckendem Maße zu. Neben der Nationalen Volksarmee und den Kampfgruppen fördert man die vormilitärische Ausbildung in der Gesellschaft für Sport und Technik, an den Universitäten und Schulen. Das Manöver "Oktobersturm" und der 10. Jahrestag der Nationalen Volksarmee waren erneute Höhepunkte der militärischen Propaganda. In aller Offenheit wird unsere Jugend zum Hass erzogen. "Der andere ist nicht unser Freund und Bruder, sondern unser Feind", heißt es z. B. in einer propagandistischen Schrift der Armee.

Wir haben als junge Wehrpflichtige aus unserem Verständnis und Bekenntnis zur guten Botschaft Jesu Christi den Dienst mit der Waffe verweigert. So versuchen wir, die Friedensbotschaft unseres Herrn ernst zu nehmen. Wir müssen uns immer vor Augen halten, dass ein dritter Weltkrieg zum Selbstmord der gesamten Bevölkerung führt und den totalen Untergang zur Folge hat. Es gibt für uns keinen Grund, weder die westliche Freiheit noch die sozialistischen Errungenschaften, weder Volk noch Vaterland, der die Vernichtung allen Lebens rechtfertigen kann. Der 10. Gründungstag der Nationalen Volksarmee ist für uns deswegen kein Tag der Freude, sondern Anlass zur Buße, dass wir Christen es nicht verstanden haben, die Wiederaufrüstung in beiden deutschen Staaten zu verhindern.

Daher rufen wir Wehrdienstverweigerer unsere Brüder und Schwestern auf, sich mit uns im Gebet für die Erhaltung des Friedens zu vereinigen.

WIR BITTEN EUCH ALLE:
Forscht in der Heiligen Schrift, was uns vom Friedensfürsten für unser Verhalten zum Frieden geboten ist.

WIR BITTEN EUCH ELTERN:
Erzieht eure Kinder im Geiste der Versöhnung, bewahrt sie vor jedem Hass, kauft und verschenkt kein Kriegsspielzeug. Habt acht, dass man die Kinder nicht militärisch vergiftet. Es gibt kein Gesetz, durch das die vormilitärische Ausbildung in den Schulen zum Pflichtfach erhoben wird.

WIR BITTEN EUCH MÄNNER:
Überlegt euch, ob ihr in die Kampfgruppen eintreten könnt. Auch die Kampfgruppen sind eine militärische Formation.

WIR BITTEN EUCH FRAUEN UND MÄDCHEN:
Wenn ihr eine Ausbildung beim Deutschen Roten Kreuz mitmacht, verweigert Schieß- und sonstige militärische Übungen. Sie verstoßen gegen die Genfer Konvention.

WIR BITTEN EUCH WEHRPFLICHTIGE:
Überlegt euch, ob ihr als junge Christen den Dienst in der Armee leisten könnt. Wie ihr euch auch entscheidet, ihr müsst es im Glauben mit gutem Gewissen tun können, damit dem Frieden zu dienen.
Überlegt euch, woran ihr euch mit dem Fahneneid der Armee bindet. Der Eid stellt uns vor viele Fragen, z. B. kann es für einen Christen Feinde geben ?

WIR BITTEN EUCH SCHÜLER UND STUDENTEN:
Bedenkt, ob ihr – vielleicht aus falscher Angst um eure berufliche Entwicklung – freiwillig an der vormilitärischen Ausbildung teilnehmen könnt. Keine Lehrkraft kann euch dazu zwingen. Beruft euch auf die in der Verfassung garantierte Glaubens- und Gewissensfreiheit, die auch in der Anordnung über die Aufstellung von Baueinheiten vom 7. September 1964 bestätigt und im Blick auf den Waffendienst besonders formuliert worden ist.

EUCH ALLEN, die ihr als Christen unsere Brüder und Schwestern seid, rufen wir mit den Worten der Bergpredigt das Gebot unseres Herrn zu:

"Liebet eure Feinde, segnet, die euch fluchen,
tut wohl denen, die euch hassen, bittet für die,
so euch beleidigen und verfolgen, auf dass ihr
Kinder seid eures Vaters im Himmel."


Prenzlau, am 2. März 1966



Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft

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