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Nach der Friedlichen Revolution von 1989/90 stellt Horst Moeller Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Schwerin gegen die beiden Richter, die Schöffen und den Staatsanwalt von 1950. Rehabilitierungsurkunde von Peter Moeller vom 15. September 1992....
Nach der Friedlichen Revolution von 1989/90 stellt Horst Moeller Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Schwerin gegen die beiden Richter, die Schöffen und den Staatsanwalt von 1950. Rehabilitierungsurkunde von Peter Moeller vom 15. September 1992. Privat-Archiv Peter Moeller, Seite 1 von 5


Abschrift:

Rehabilitierungsurkunde von Peter Moeller vom 15. September 1992.

Ausfertigung
LANDGERICHT SCHWERIN
2. Rehabilitierungskammer

BRh 286/90


BESCHLUß

In dem Rehabilitierungsverfahren

für Herrn DR. Peter Moeller,
geb. am 14. März 1931,
wohnhaft Finkenstr. 8, W-7024 Filderstadt 4
– Antragsteller –

hat das Landgericht Schwerin, 2. Rehabilitierungskammer, am 15. September 1992

durch Richter am Sozialgericht Heye,
Richter am Oberlandesgericht Arne Schmidt und
Richter am Landgericht Becker

beschlossen:

1. Das Urteil der Großen Strafkammer des Landgerichts Schwerin zu dem Befehl 201 in Güstrow vom 27. September 1950 – St.Ks 66/50 – wird, soweit es den Antragsteller betrifft,
a u f g e h o b e n .

2. Der Antragsteller wird
r e h a b i l i t i e r t .

3. Seine diese Verurteilung betreffenden Strafregistereintragungen sind zu
t i l g e n .

4. Der Antragsteller hat für den in der Zeit vom 16. September 1950 bis 20. November 1956 erlittenen Freiheitsentzug einen Anspruch auf soziale Ausgleichsleistungen.

5. Die Dauer des Freiheitsentzuges ist als versicherungspflichtige Tätigkeit bei der Rentenfestsetzung anzurechnen.

6. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Die notwendigen Auslagen des Antragstellers trägt die Staatskasse.

G r ü n d e :

I.
Der Antragsteller wurde durch das im Tenor genannte Urteil in einem Verfahren, das sich insgesamt gegen 8 Angeklagte richtete, wegen eines Verbrechens gemäß Artikel III A III der Kontrollratsdirektive 38 in Tateinheit mit einem Verbrechen gemäß Artikel 6 der Verfassung der DDR zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Der Antragsteller verbüßte einen Teil der gegen ihn erkannten Freiheitsstrafe unter Anrechung der Untersuchungshaft vom 16.09.1050 bis zum 20.11.1956. Sodann wurde ihm Strafaussetzung auf Bewährung gewährt.

Nach dem Inhalt des angefochtenen Urteils lag der Verurteilung folgender Sachverhalt zugrunde, den die Staatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 17.08.1992 zutreffend zusammengefaßt hat:

„Während des Deutschlandtreffens im Mai 1950 begab sich der Antragsteller zusammen mit dem Mitverurteilten Henke nach Westberlin, wo beide mit Mitgliedern der Organisation „Kampfgruppe gegen die Unmenschlichkeit“ zusammentrafen. Diesen gegenüber machten er und der Mitverurteilte Henke Angaben über die Organisation des Deutschlandtreffens, die Anzahl der daran Beteiligten sowie über die Stärke der Polizei und der Besatzungsmacht in der DDR. Beide erhielten Flugblätter „hetzerischen Inhalts“ mit dem Auftrag, diese mit ins Lager zu nehmen und sie dort unter den Jugendlichen zu verteilen. Ebenfalls erhielten sie Merkhefte, die genauso hergestellt waren wie Hefte, die von der Organisation des Jugendtreffens für die Teilnehmer ausgegeben waren. Der Inhalt dieser Merkhefte bestand jedoch aus falschen Angaben, so unter anderem, daß die einzelnen Landesverbände auf verschiedenen Stellen Ostgeld in Westberlin im Werte 1 : 1 umgetauscht erhalten könnten, daß jede Konsumverkaufsstelle oder jeder HO-Laden kostenlos ein paar Turnschuhe an die FDJler ausgebe und dergleichen mehr.
Von diesen Merkheften nahmen sie insgesamt 100 Exemplare mit und legten diese in ihrer Unterkunft auf der Toilette oder den Fensterbrettern aus. Außerdem erhielten sie auch 10 Broschüren „Kampf gegen Ungeziefer“. Der Inhalt dieser Broschüren war eine „Hetze“ gegen die DDR.
In den Gesprächen mit Mitgliedern der „Kampfgruppe gegen die Unmenschlichkeit“ wurde dem Antragsteller klar gemacht, daß in Güstrow eine Widerstandsgruppe gegründet werden müsse, die für die Kampfgruppe arbeite. In der Folge teilte der Mitverurteilte Henke dem Antragsteller mit, daß die Widerstandsgruppe in Güstrow, zu der er auch gehöre, in Berlin gegründet worden sei und daß er Material und Raketen mitgebracht habe.

Während eines späteren Aufenthalts in Berlin nahm der Antragsteller Verbindung zur „Kampfgruppe gegen die Unmenschlichkeit“ auf und berichtete dort, daß der Mitverurteilte Henke das gesamte Material gut nach Güstrow durchbekommen habe und daß die Gruppe jetzt arbeite.
Am 04.09.1950 klebte der Antragsteller zusammen mit dem Mitverurteilten Henke an der Dettmansdorfer Schule und an der Hafenschule in Güstrow ca. 50 bis 75 Zettel mit der Aufschrift „FDJler“ und „FDJ für wen marschierst du?“ an.
Bei seinem zweiten Aufenthalt in Berlin erhielt der Antragsteller ca. 200 Klebezettel von der „Kampfgruppe gegen die Unmenschlichkeit“, die für einen „Großeinsatz“ in der Nacht vom 15. zum 16. September 1950 in Güstrow verbraucht werden sollten. Diesen Auftrag übermittelte er dem Mitverurteilten Henke.
In den Abendstunden des 15.09.1950 brachte der Antragsteller gemeinsam mit dem Mitverurteilten Henke an Häuserwänden und Haustüren in Güstrow einen Teil der von ihm mitgebrachten Klebezettel an. Den Rest der Klebezettel warf der Mitverurteilte Henke in den Postkasten beim Hauptpostamt.
Desweiteren hatte der Antragsteller dem Mitverurteilten Henke mitgeteilt, daß dieser einen Bericht fertigen solle über die Stimmung zur Wahl am 15. Oktober 1950 und diesen der „Kampfgruppe gegen die Unmenschlichkeit“ bis zum 23.09.1950 vorlegen solle.
In der Nacht vom 15. zum 16. September 1950 wurde der Antragsteller festgenommen.“

Darin sah das Gericht Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen sowie Kriegshetze und die Gefährdung des Friedens des deutschen Volkes.

Der Antragsteller beantragt nunmehr seine Rehabilitierung.

Die Staatsanwaltschaft schließt sich diesem Antrag an.

II.
Der Antrag auf Rehabilitierung ist zulässig und begründet. Der Antragsteller ist nach den unter Ziffer I. getroffenen Feststellungen verurteilt worden, weil er durch das Verteilen der Flugblätter von seinem verfassungsmäßigen politischen Grundrecht auf freie Meinungsäußerung (Artikel 9 und 41 Abs. 1 der Verfassung der DDR aus dem Jahre 1949) wahrgenommen und politischen Widerspruch erhoben hat. Darin liegt der Rehabilitierungsgrund des § 3 Abs. 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nr. 1 des Rehabilitierungsgesetzes (RehaG) vom 06. September 1990 in der Fassung der Vereinbarung zur Durchführung und Auslegung des Einigungsvertrages vom 18. September 1990 (Bundesgesetzblatt II, S. 1239). Soweit Grundlage und Verurteilung auch die Aufnahme der Verbindung zu der Organisation „Kampfgruppe gegen die Unmenschlichkeit“ in Westberlin war, liegt der Rehabilitierungsgrund des § 3 Abs. 2 Nr. 4 RehaG vor. Danach werden auch Personen rehabilitiert, die deshalb verurteilt wurden, weil sie Kontakt zu Dienststellen, Organisationen und Personen außerhalb des Gebietes der DDR wahrgenommen haben, ohne im Sinne des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes Spionage- oder Agententätigkeit auszuüben.

Das im Tenor genannte Urteil ist deshalb nach § 4 RehaG aufzuheben.
Nach § 5 Abs. 2 RehaG ist die Tilgung der entsprechenden Strafregistereintragungen und nach § 9 RehaG die Anrechnung der Zeit der Freiheitsentziehung aufgrund dieser Verurteilung für die zur Rentenberechnung maßgebliche Zeit anzuordnen.

Dem Antragsteller steht gemäß § 7 Abs. 1 RehaG ein Anspruch auf soziale Ausgleichsleistungen zu. Insoweit kann die Kammer nur über den Grund des Anspruchs entscheiden.
Für die Berechnung und die Auszahlung der sozialen Ausgleichsleistungen sowie für die Rückzahlung der damaligen Strafprozeßkosten ist der
Minister für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten
des Landes Mecklenburg-Vorpommern,
Demmlerplatz 1-2,
0-2754 Schwerin,
zuständig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 16 RehaG.


Heye Schmidt Becker


A u s g e f e r t i g t
[Unterschrift]
Justizangestellte als Urkundsbeamte
der Geschäftsstelle des Landgerichts

[Siegel Landgericht Schwerin]


Quelle: Privat-Archiv Peter Moeller

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