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Wahl 50 - Protest Güstrower Oberschule_RHG_Fo_HAB_23701

Am 27. September 1950 findet der Schauprozess gegen die Oberschüler Enno Henke, Peter Moeller, Fritz Gutschmidt, Rolf Beuster, Horst Rieder, Günther Heyer, Wolf-Heinrich Dieterich und Horst Nehring im großen Saal des Hotels Zachow in Güstrow statt....
Am 27. September 1950 findet der Schauprozess gegen die Oberschüler Enno Henke, Peter Moeller, Fritz Gutschmidt, Rolf Beuster, Horst Rieder, Günther Heyer, Wolf-Heinrich Dieterich und Horst Nehring im großen Saal des Hotels Zachow in Güstrow statt. Die Beschuldigungen lauten: Verbrechen gegen den Frieden, Vorbereitung eines Krieges, Verletzung von internationalen Verträgen und Bekundung von Völker- und Rassenhass. Abschrift des Urteils gegen die Oberschüler aus Güstrow. Quelle: Privat-Archiv Peter Moeller, Seite 1 von 11


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Am 27. September 1950 findet der Schauprozess gegen die Oberschüler Enno Henke, Peter Moeller, Fritz Gutschmidt, Rolf Beuster, Horst Rieder, Günther Heyer, Wolf-Heinrich Dieterich und Horst Nehring im großen Saal des Hotels Zachow in Güstrow statt.


Abschrift
Abschrift

St.Ks. 66/50

I m N a m e n d e s V o l k e s !

Strafsache

gegen 1. den jugendlichen Oberschüler Enno H e n k e , geb. am 9.2.1933 in Oldenburg, wohnhaft in Güstrow, Mühlenstr. 51,

2. den Oberschüler Peter M ö l l e r , geb. am 14.3.1931 in Güstrow, wohnhaft in Güstrow, Rostocker Str. 46,

3. den Oberschüler Fritz G u t s c h m i d t , geb. am 16.7.1931 in Winden/Lettland, wohnhaft in Güstrow, Gertrudenstr. 6,

4. den Oberschüler Rolf B e u s t e r , geb. am 28. 6. 1931 in Güstrow, wohnhaft in Güstrow, Lindenstr. 10,

5. den Büroangestellten Horst R i e d e r , geb. am 21.11.1923 in Königsberg/Ostpr., wohnhaft in Güstrow, Langestr. 1,

6. den Büroangestellten Günter H e y e r , geb. am 21.4.1928 in Stolp/Pom., wohnhaft in Güstrow, Kastanienstr. 2,

7. den Oberschüler Wolf-Heinrich D i e t r i c h , geb. am 6.9.1931, wohnhaft in Güstrow, Plauerstr. 10,

8. den Oberschüler Horst N e h r i n g , geb. am 13.6.1931 in Goldewin, Kreis Güstrow, wohnhaft in Güstrow, Glewinerstr. 6,

sämtliche Angeklagte z. Zt. in Untersuchungshaft,

Sachbezeichnung: H e n k e , Enno und andere

wegen Verbrechens gem. Kontrollratsdirektive 38.
– – – – – – – – – – – – – –

Die Grosse Strafkammer des Landgerichts Schwerin für Befehl 201 hat in der Sitzung vom 27. September 1959 in Güstrow, an der teilgenommen haben:

Landgerichtspräsident S c h m i e g e
als Vorsitzender,
Landrichter R e i n w a r t h
als beis. Richter,
Bezirksdirektor Max Arlich, Schwerin,
Herr Massel, Schwerin,
Frau Lili Rische, Schwerin,
als Schöffen
Staatsanwalt B o s t e l m a n n , Güstrow,
als Vertreter der Staatsanwaltschaft,
Justizangestellte Görlitz
als Beurkunder der Geschäftstelle

für R e c h t erkannt:

Die Angeklagten:

1. Enno H e n k e , geb. 9.2.1933,
2. Peter M ö l l e r , geb. am 14.3.1931,
3. Fritz G u t s c h m i d t , geb. am 16.7.1931,
4. Rolf B e u s t e r , geb. am 28.6.1931,
5. Horst R i e d e r , geb. am 21.11.1923
6. Günter H e y e r , geb. am 21.4.1928
7. Wolf Heinrich D i e t e r i c h , geb. 6.9.1931
8. Horst N e h r i n g , geb. am 13.6.1931

sind schuldig des Verbrechens gemäss Art. III A/III der Kontrollratsdirektive 38 und in Tateinheit des Verbrechens gem. Art. VI der Verfassung der DDR.

Sie werden wie folgt bestraft:

1. Enno H e n k e zu 10 – zehn – Jahren Jugendgefängnis,

2. Peter M ö l l e r , Fritz G u t s c h m i d t und Rolf B e u s t e r zu je 15 – fünfzehn – Jahren Zuchthaus,

Horst R i e d e r zu 12 – zwölf – Jahren Zuchthaus,
Günther H e y e r zu 10 – zehn – Jahren Zuchthaus,
Wolf Heinrich D i e t e r i c h und Horst N e h r i n g zu je 5 – fünf – Jahren Zuchthaus.

3. Jedem Angeklagten werden im übrigen die Beschränkungen der Ziff. 5 – 9 des Art. IX der Kontrollratsdirektive 38 auferlegt.

4. Die bisher erlittene Untersuchungshaft wird jedem der Angeklagten angerechnet.

5. Das bei den Angeklagten sichergestellte Propagandamaterial, die 2 Pakete mit Zündschnur und das feststehende Messer werden eingezogen.

6. Die Kosten des Verfahrens fallen den Angeklagten zur Last.

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G r ü n d e :

Die Angeklagten werden beschuldigt:

a) nach dem 8.5.1945 durch Erfindung und Verbreitung tendenziöser Gerüchte den Frieden des deutschen Volkes gefährdet zu haben, und in Tateinheit

b) des Verbrechens gegen den Frieden durch Teilnahme an einem gemeinsamen Plan bezw. einer Verschwörung zum Zweck der Ausführung des Verbrechens der Planung und Vorbereitung eines Krieges und der Verletzung von Internationalen Verträgen, Abkommen und Zusicherungen (insbesondere des Londoner Abkommens vom 8.8.45 (Potsdamer Abkommen) hinsichtlich der Stellung Deutschlands als eines friedliebenden demokratischen Staates),

und in Tateinheit

c) der Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen, der Bekundung von Völkerhass sowie Kriegshetze und der Unterwühlung der Blockpolitik als sonstige Handlung, die sich gegen die Gleichberechtigung richtet, ohne dabei in Ausübung demokratischer Rechte im Sinne der Verfassung der DDR. zu handeln.

In der Hauptverhandlung wurde folgender Sachverhalt festgestellt:

Der Angeklagte H e n k e war von 1943 bis 1945 in einem Internat in Bayern. Er kehrte dann nach Güstrow zurück und besuchte die Oberschule. In der Oberschule lernte er die einzelnen Klassenkameraden kennen und trat im April 1949 in die LDP. ein. Hier kam er mit den Angehörigen der Partei L a u z e n i n g k s und K u h a g e n zusammen. Lauzeninks war Kreisreferent und Kuhagen war Kreisvorsitzender der LDP. in Güstrow. Der Angeklagte war in der Jugendarbeit aktiv tätig. Er gehörte zum Schulvorstand und war stellvertretender Leiter der FDJ-Gruppe auf der Oberschule. Im März 1950 wurde er zum stellvertretenden Vorsitzenden der LDP-Ortsgruppe Güstrow bestellt. Lauzeningks und Kuhagen hatten in Güstrow die Untergrundbewegung „ E s c h “ aufgezogen, die ein Student aus Rostock leitete. Im Sommer 1949 wurde der Angeklagte zu einer Besprechung dieser Untergrundbewegung geladen, um ihn zur aktiven Mitarbeit zu veranlassen. Zu dieser Besprechung war der ebenfalls Angeklagte Horst R i e d e r auch erschienen. Nachdem der Angeklagte von den Zielen dieser Untergrundbewegung Kenntnis hatte, hat er sich von ihn abgewandt. Im Herbst 1949 sind dann Lauzeningks und Kuhagen nach West-Berlin geflüchtet und Kuhagen ist dort bei der Organisation „Kampfgruppe gegen die Unmenschlichkeit“ tätig. Im März 1950 wurde der Angeklagte vom Kreisverband der LDP. zur Parteischule nach Behrendorff entsandt. Auf seiner Hinreise nahm er für Kuhagen ein Schreiben mit und wusste nun, dass Kuhagen in der Dienststelle in Nikolassee beschäftigt war. Von Kuhagen selbst wurde ihm die Arbeit dieser Organisation erklärt. Weiter wurde ihm bekannt gegeben, dass die Organisation eine Widerstandbewegung sei, die auch ihre Fäden in der DDR. habe und Flugblätter verteilen liesse. Das Ziel dieser Kampfgruppe sei, die Herrschaft der SED. in der DDR. zu brechen. Nach Beendigung der Parteischule hat der Angeklagte noch einmal ein Telefongespräch mit Kuhagen geführt und wurde ihm gesagt, dass, wenn er zum Deutschlandtreffen nach Berlin käme, er unbedingt die Dienststelle in Nikolassee aufsuchen müsse. Nach Güstrow zurückgekehrt, hat der Angeklagte seine Kenntnisse von dieser Kampfgruppe den Mitangeklagten Möller, Gutschmidt, Beuster und Rieder mitgeteilt. Zum Deutschlandtreffen in Berlin wurden sämtliche Angeklagten delegiert. Am gleichen Abend, als diese in Berlin ankamen, ist der Angeklagte mit dem Peter Möller zu Kuhagen gefahren, um sich von diesem Verpflegung geben zu lassen, da die Verpflegungszuteilung für die Jugendlichen nicht geklappt habe. In der Privatwohnung haben sie Kuhagen jedoch nicht angetroffen. Mittels eines Telefongesprächs wurden sie aber aufgefordert, Kuhagen in seiner Dienststelle aufzusuchen. An diesem Tage wurde jedoch nichts mehr. Zwei Tage später ist dann der Angeklagte mit Peter Möller zur Dienststelle Nikolassee gefahren und wurde dadurch, dass sie den Decknamen – „ Todt “ – des Kuhagen wussten, diesem vorgeführt. Kuhagen stellte dann Fragen über die Organisation des Deutschlandtreffens, über die Anzahl der Jugendlichen, die am Deutschlandtreffen beteiligt sind und über die Stärke der Polizei und Besatzungsmacht. Bei dieser Unterredung war auch Dr. Hildebrand, der der Leiter der Kampfgruppe ist, und Dr. Wagner zugegen. Kuhagen selbst hatte das Dezernat „Volkspolizei und FDJ.“ Beide erhielten dann von Kuhagen Flugblätter mit hetzerischem Inhalt mit dem Auftrag, diese mit ins Lager zu nehmen und sie unter den Jugendlichen zu verteilen. Ebenfalls erhielten sie Merkhefte, die genau so hergestellt waren, wie die Hefte, die von der Organisation des Jugendtreffens für die Teilnehmer ausgegeben waren. Der Inhalt dieser Merkhefte bestand aber aus falschen Angaben, so u.a. dass die einzelnen Landesverbände auf verschiedenen Stellen Ostgeld im Westen im Werte 1 : 1 umgetauscht erhalten könnten, dass jede Konsum-Verkaufsstelle oder HO-Laden kostenlos 1 Paar Turnschuhe an die FDJ-ler ausgebe und der gleichen mehr. Von diesen Merkheften nahmen sie insgesamt 100 Exemplare mit und legten diese in ihrer Unterkunft auf der Toilette oder den Fensterbrettern aus. Ausserdem erhielten sie noch 10 Broschüren „Kampf dem Ungeziefer“. Der Inhalt dieser Broschüren war eine Hetze gegen die DDR. Diese Hefte hat der Angeklagte auf der Toilette abgelegt. Am nächsten Morgen war dann ein Appell, und es wurde allen Jugendlichen bekanntgegeben, dass derartige hetzerische Schriften verteilt worden seien. Für die nächsten Tage hatte der Angeklagte von Kuhagen wieder eine Einladung erhalten mit der Anweisung, Peter Möller, Horst Rieder und Günther Heyer mitzubringen. Diesen Auftrag hat der Angeklagte ausgeführt. Sie haben aber Kuhagen nicht angetroffen, sondern haben sich nur mit der Verlobten von Kuhagen über das Deutschlandtreffen unterhalten. Nach Güstrow zurückgekehrt, hat der Angeklagte sich mit Gutschmidt und Beuster darüber unterhalten, dass er mit Möller von Kuhagen Flugblätter erhalten und diese den Jugendlichen beim Deutschlandtreffen zugänglich gemacht habe. Am 26. August 1950 wurde der Angeklagte zum National-Kongress nach Berlin delegiert. Als er zu seinem Quartier gehen wollte, traf er den ihm bekannten Lauzeningks. Dieser sagte ihm, dass er sofort zu Kuhagen gehen müsse, da sie etwas zu besprechen hätten. Bei Kuhagen angekommen, wurde ihm von diesem mitgeteilt, dass er Material nach Güstrow mitzunehmen hätte und die Widerstandgruppe in Güstrow gegründet werden müsse, zu der die Angeklagten Henke, Möller, Gutschmidt, Beuster, Roder und Heyer zählen sollen, sie mit diesem Material nunmehr zu arbeiten hätten. Das Material bestand aus Klebezetteln, Flugblättern und 2 Raketen, mit denen Flugblätter abgeschossen werden konnten. Der Angeklagte erhielt den Decknamen „Xenephon“ und es wurde ihm gesagt, dass für Fahrten nach Berlin das Reisegeld ersetzt werden würde. Da der Angeklagte mit anderen Delegierten in einem besonderen Wagen nach Berlin befördert worden war und eine Kontrolle nicht stattgefunden hatte, war es für ihn gar nicht schwer, dieses Material im Koffer verpackt nach Güstrow mitzunehmen. Da die Raketen noch nicht schussfertig waren, sollten die dazugehörigen Hülsen über einen Mittelsmann in Lalendorf nachgeliefert werden. Die beiden Raketen und die Flugblätter versteckte der Angeklagte im Hause seiner Tante, indem er dieser erklärte, dass es sich bei diesem Paket um Weihnachtsgeschenke für seine Mutter handele. Von diesem mitgebrachten Material setzte er die Angeklagten Möller, Gutschmidt, Beuster, Rieder und Heyer in Kenntnis und entwarf zugleich einen Plan, wie dieses Material zu verteilen sei. Am 31. August, so gestand der Angeklagte ein, mit dem Angeklagten Gutschmidt tätig gewesen zu sein und hat ca. 20 bis 25 Klebezettel „FDJ-ler“ und „FDJ für wen marschierst DU“ bei der Oberschule am Wall verklebt. Am nächsten Tag entstand darüber eine grosse Entrüstung und sollte eine Resolution verfasst werden, die sich gegen derartige Machenschaften wendete. Da der Angeklagte und auch Gutschmidt im Schulvorstand waren, haben sich beide an der Verfassung dieser Resolution beteiligt.
Am 4.9. ist dann der Angeklagte mit dem Peter Möller tätig gewesen und hat an der Dettmansdorfer Schule und an der Hafenschule ca. 50 bis 75 Zettel verklebt. Der Angeklagte Möller, der sich in Berlin nach einem Studium erkundigen wollte, hat dann Kuhagen über ihre Tätigkeit berichtet und kam mit dem Auftrag zurück, in der Nacht vom 15. zum 16. September eine Aktion zu starten, bei der sämtliches Material verbraucht werden sollte, da innerhalb der gesamten DDR. in dieser Nacht eine Gross-Aktion starten solle. Zu diesem Zweck rief der Angeklagte Gutschmidt, Beuster, Rieder und Heyer ins Parteibüro der LDP. und hat hier mit ihnen den gesamten Einsatz besprochen. Es wurde genau festgelegt, wie die einzelnen Gruppen von je 2 Mann zu arbeiten und in welchen Bezirken sie ihre Klebeaktion durchzuführen hätten. Das dazugehörige Material sollte dann abends von den benannten Angeklagten bei ihm – dem Angeklagten Henke – abgeholt werden. Bei dieser durchgeführten Aktion sind die Angeklagten dann gefasst worden.

Der Angeklagte Peter M ö l l e r , der seit 1948 Mitglied der LDP. ist, hat die Parteiversammlungen besucht und hat über die Ziele der Blockpartei innerhalb seiner Partei diskutiert. Er war jedoch mit den Zielen der Blockpolitik nicht einverstanden und arbeitete mit den anderen Angeklagten gegen dieses Ziel. Als Delegierter des Deutschlandtreffens ist er mit Henke bei Kuhagen gewesen, von dem er wusste, dass er in der „Kampfgruppe gegen die Unmenschlichkeit“ tätig war. Hier wurde er im Beisein des Angeklagten Henke von Kuhagen mit Dr. Hildebrandt und Dr. Wagner bekannt gemacht. Auch von ihm wurden Angaben gemacht über die Stärke der Polizei und Besatzungsmacht. Als er gefragt wurde, ob er bereit sei, Flugblätter mit in die DDR. zu nehmen, um sie unter den Jugendlichen des Deutschlandtreffens zu verteilen, sagte er sofort zu, nahm die Schriften an sich, versteckte sie in seiner Hose und verteilte sie dann in seiner Unterkunft, indem er sie im Hausflur und auf einzelne Fensterbretter ablegte. Er gibt an, dass von ihm von diesem Deutschlandtreffen keine Flugblätter nach Güstrow mitgenommen worden sind. Auf der Besprechung bei Kuhagen wurde ihm aber auch klar gemacht, dass eine Widerstandgruppe in Güstrow gegründet werden müsse und für die Kampfgruppe arbeite. Nach dem National-Kongress hat der Angeklagte Henke ihm dann mitgeteilt, dass die Widerstandgruppe in Güstrow, zu der auch er gehört, in Berlin gegründet worden sei und dass er Material und Raketen mitgebracht habe, dass an geeigneten Tagen zu verteilen sei. Er sei dann später nach Berlin gefahren, um sich nach seinem Studium zu erkundigen, so erklärte er, und sei bei dieser Gelegenheit auch mit Kuhagen zusammen gewesen und habe ihm berichtet, dass der Angeklagte Henke das gesamte Material gut nach Güstrow durchbekommen habe und dass die Gruppe jetzt arbeite. Als das erste Mal die Klebezettel an der Oberschule angebracht wurden, befand er sich gerade in Berlin, konnte daher in dieser Aktion nicht teilnehmen. Bei der 2. Aktion in Dettmannsdorff ist dann der Angeklagte Möller mit Henke gemeinsam tätig gewesen. Bei seinem zweiten Aufenthalt in Berlin erhielt er dann von Kuhagen ca. 200 Klebezettel, die für den Gross-Einsatz in der Nach[t] vom 15. zum 16. September mit verbraucht werden sollten. Diesen Auftrag übermittelte er Henke. Im Parteilokal der LDP. wurde dann besprochen, wie die einzelnen Gruppen ihre Tätigkeit in dieser Nacht auszuführen hätten. In den Abendstunden sind dann von ihm gemeinsam mit Henke Häuserwände und Haustüren beklebt worden unter Anwendung der Vorsichtsmassregeln, die Kuhagen ihnen erteilt hatte, nämlich Handschuhe anzuziehen, um Fingerabdrücke auf den Zetteln zu vermeiden. Der Angeklagte Henke hat dann den Rest der Klebezettel in den Postkasten beim Hauptpostamt geworfen. Für das Abschliessen der Raketen war noch kein direkter Auftrag erteilt. Es sollten weitere Direktiven abgewartet werden. Ausserdem wurde von ihm dem Henke mitgeteilt, dass Henke einen Bericht fertigen solle über die Stimmung zur Wahl am 15. Oktober und diesen dem Kuhagen am 23.9. in Berlin vorlegen solle. Er hat diese Tätigkeit ausgeübt, weil er mit der Blockpolitik nicht einverstanden war, ihm auf parlamentarischem Wege eine Änderung nicht möglich erschien und daher bereit war, innerhalb dieser Kampfgruppe eine Änderung in der DDR. herbeizuführen. Bei dieser durchgeführten Aktion in der Nach[t] vom 15. zum 16. September wurde dem Angeklagten auch ein feststehendes Messer abgenommen.

Als Delegierter des Deutschlandtreffens ist Gutschmidt nach Aufforderung des Henke mit Beuster, Mehring und Dieterich zur Dienststeller der Kampfgruppe gegen die Unmenschlichkeit gefahren. Sie wurden von Kuhagen dem Leiter der Kampfgruppe, Dr. Hildebrandt, vorgestellt, der dann Fragen stellte über das Deutschlandtreffen, über die Stimmung in der Schule, über Einzelheiten in der FDJ. über die Stärke der Volkspolizei und Besatzungsmacht, über einzelne Mitglieder der LDP. in Güstrow und sie wurden darauf hingewiesen, dass sie Vorsicht sollten walten lassen bei dem Stadtrat Tierfelder, Hass und Viebig, da diese im Rahmen der Nationalen Front tätig seien. Weiter wurden Fragen gestellt über die Volkseigenen Betriebe und über alle Fragen wurde bereitwilligst Auskunft gegeben. Es wurde ihm sodann nahe gelegt, eine Kampfgruppe in Güstrow zu bilden und ihm mitgeteilt, dass man sich für ihn, falls er in Berlin studieren wolle, einsetzen würde in Bezug auf Wohnung und ihm sonstige Erleichterungen zuteil würde. Weiter wurde ihm aufgegeben, Material mit nach Güstrow zu nehmen, was aber von ihm abgelehnt wurde. Er nahm lediglich Material entgegen mit der Weisung, es in der DDR. unter den Jugendlichen zu verteilen. Dieses Material will er aber in Nikolassee vernichtet haben. Kurz vor dem National-Kongress traf er den Angeklagten Henke, der ihm erklärte, dass es jetzt eine günstige Gelegenheit sei, Material aus Berlin mitzubringen. Nach dem National-Kongress erfuhr er dann von Henke, dass er Klebezettel und Flugschriften mitgebracht hätte und dass sie am 31. August Klebezettel an ihre Oberschule heften wollten. Am 31. August um 23.00 Uhr sind dann beide tätig geworden und haben an die Oberschule Zettel geklebt. Am nächsten Tage wurde dann die bekannte Resolution verfasst. An der Absetzung dieser Resolution war er selbst mit beteiligt. An der Klebezettelaktion in der Nacht vom 4. zum 5. September war er nicht dabei, weil er krank war. Während der Schulzeit wurde ihm dann von dem Angeklagten Henke mitgeteilt, dass sie in der Nacht vom 15. zum 16. September eine dritte Aktion durchzuführen hätten, und alles Nähere darüber noch zu besprechen wäre. Er hat dazu die Aufforderung erhalten, sich im Parteilokal der LDP. einzufinden, wo alles im einzelnen festgelegt werden sollte. Er ist dann zusammen mit Beuster tätig gewesen und hat das ihm zugeteilte Material in den ihm zugewiesenen Strassen vor den Haustüren oder in den Vorgärten abgelegt. Nachdem Henke das Material von Berlin mitgebracht hatte, erhielt er auch Kenntnis davon, dass neben den Flugschriften die Raketen vorhanden sind und dass die Widerstandsgruppe Güstrow nunmehr ins Leben gerufen sei, zu der auch er gehöre. In Berlin wurde ihm noch mitgeteilt, dass sie innerhalb der Gruppe mit grosser Vorsicht zu arbeiten hätten, für den Fall aber, wo etwas schief gehen sollte, würde man ihnen sofort die Zuzugsgenehmigung für West-Berlin bereitstellen. Die Zusammenkünfte dieser Widerstandgruppe seien unregelmässig gewesen, mehrmals fanden sie im Parteilokal der LDP. statt, führt er aus, und sonst wurde gelegentlich, wenn sie zusammentrafen, darüber gesprochen. Der Anführer dieser Gruppe war Henke, der die Verbindung nach Berlin aufrecht erhielt, und der auch sonst alle Direktiven an die einzelnen herausgab. Ob noch weitere Gruppen in Mecklenburg bestehen, ist ihm nicht bekannt, bekannt ist ihm nur, dass Kuhagen im Besitz der Bekleidung der Volkspolizei der DDR. ist und die Nadel für Deutsch-Sowjetische Freundschaft trägt.

Beuster ist seit 1945 Mitglied der LDP. und ist mit den Zielen der LDP nicht einverstanden, weil sein Vater 1945 verhaftet worden war. Über den RIAS-Sender hatte [er] gehört, dass in West-Berlin eine Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit besteht und hat dann von Henke erfahren, dass Kuhagen dort beschäftigt ist.
Als Delegierter des Deutschlandtreffens ist er dann gemeinsam mit Gutschmidt, Dietrich und Nehring zu Kuhagen nach Nikola[s]see gefahren und wurden sie dort von Kuhagen empfangen, in die Küche geführt und gut bewirtet. Danach wurden sie dem Leiter der Kampfgruppe Dr. Hildebrandt vorgestellt. Hier wurden die Bekannten Fragen über das Deutschlandtreffen, Volkspolizei, Besatzungsmacht, Volkseigene Betriebe, Stimmung in der DDR. usw. gefragt. Ausserdem wurde gefragt, ob er mit den anderen bereit wäre, in Güstrow Flugblätter zu verteilen. Dies wurde von allen zugesagt. Vorerst erhielt der Angeklagte mit den anderen vielleicht 20 Flugblätter, die sie unter den Angehörigen der FDJ. in der DDR. verteilen sollten. Diese Flugblätter hat er angenommen und in der S-Bahn liegengelassen. Nach Stattfinden des National-Kongresses ist ihm dann von Henke mitgeteilt worden, dass er Flugblätter und Raketen aus Berlin mitgebracht habe, dass die Widerstandsgruppe gegründet sei, zu der er auch gehöre und dass sie in Zukunft nach den Anweisungen zu arbeiten hätten. Er erhielt auch den Auftrag nach Lalendorf zu fahren, um die Hülsen für die Raketen abzuholen. Bei der ersten Klebeaktion war er nicht beteiligt. Nachdem der Plan für die Aktion in der Nacht vom 15. zum 16[.] September besprochen war, hat er dann das Material entgegengenommen und ist mit Gutschmidt zusammen in dem ihm zugewiesenen Stadtbezirk tätig gewesen und hat die Flugblätter und Klebezettel, die auf Grund der schlechten Gummierung nicht kleben wollten, einfach vor den Türen und in den Vorgärten abgelegt.

Der Angeklagte R i e d e r war in englischer Gefangenschaft als Dolmetscher tätig. Als er 1947 nach Güstrow kam, trat er sofort der LDP. bei und wurde 1948 Ortsgruppenvorsitzender der LDP. und war als Kandidat für die Oktoberwahl im Stadtparlament in Güstrow aufgestellt. Innerhalb der Partei lernte er Lauzeningks und Kuhagen kennen, die die Untergrundbewegung „Esch“ leiteten. Er wurde eines Tages zu der Gruppenversammlung eingeladen, und es wurde ihm klargemacht, welche Ziele diese Gruppe verfolgte. Es sollte versucht werden, das Gedankengut des Liberalismus mit dem Pazifismus und dem Kosmopolitismus in Verbindung zu bringen. Da der Angeklagte mit diesen Dingen nicht ganz einverstanden war, kam es an diesem Abend zu keinem offiziellen Ergebnis. Die Angehörigen der Untergrundbewegung Esch mussten flüchten und er hat sich mit diesen Dingen nicht weiter beschäftigt. Zum Deutschlandtreffen war er ebenfalls delegiert. Von Henke wurde er dann aufgefordert, zusammen mit ihm, Möller und Heyer zu Kuhagen zu gehen. Er kam dieser Aufforderung auch nach. Da sie an dem ersten Abend Kuhagen nicht antrafen, wurde dieser Besuch verabredungsgemäß für den nächsten Abend wiederholt. Henke führte ihn in das Dienstgebäude des Kuhagen, wo dieser ihn dem Leiter der Kampfgruppe – Dr. Hildebrandt – vorstellte. Auch ihm wurden die Fragen über Stimmung in der DDR, über das Deutschlandtreffen und die sonst üblichen Fragen vorgelegt, die er nach seinem Wissen beantwortete. Auf die Frage, ob er Material in die DDR. zur Verteilung mitnehmen wolle, hat er keine Antwort gegeben und ist ihm dann auch nicht übergeben worden. Ihm war bekannt, dass Henke mit Möller auch bei Kuhagen war und dass sie beide gefälschte Merkhefte für das Jugendtreffen und auch sonstige Flugblätter mitgebracht hatten. Nachdem Henke vom National-Kongress zurück war, hat er von ihm erfahren, dass sich Flugblätter und 2 Raketen in Güstrow befinden, die zu irgend welchen Aktionen gebraucht werden sollten. Eines Tages erhielt er dann von Henke den Anruf, dass er zur Geschäftsstelle der LDP kommen sollte, um dort gemeinsam über eine Aktion zu beraten und hier wurde ihm dann mitgeteilt, dass in der Nacht vom 15. zum 16. September eine Verteilung des vorhandenen Materials vorgenommen werden sollte. Er erhielt als Verteilungsbereich das Stadtviertel „Plauer Vorstadt“ zugewiesen. Die Klebezettel sollten abends 17.00 Uhr abgeholt werden. Er ist dann aber nicht zum Materialempfang gegangen und hat an dieser Aktion nicht teilgenommen. Bei dem Zusammentreffen in Berlin wurde ihm noch mitgeteilt, dass in Dettmansdorff schon eine Untergrundbewegung bestehen, die schon Überfälle auf die Volkspolizei vorgenommen hätte, des weiteren seien im ganzen Gebiet der DDR. Kampfgruppen vorhanden, die von Berlin zentral geleitet werden.

Der Angeklagte H e y e r war ebenfalls zum Deutschlandtreffen in Berlin und ist mit Henke und Rieder und noch einer Person, auf die er sich nicht mehr besinnen kann, bei Kuhagen in Nikola[s]see gewesen. Er wurde ebenfalls Dr. Hildebrandt vorgestellt und auch ihm wurden Fragen vorgelegt über die Stärke der Polizei, der Besatzungsmacht und Stimmung in der DDR. Diese Fragen wurden bereitwilligst beantwortet. Weiterhin wurde gefragt, ob er bereit sei, Flugblätter mit in die DDR. zu nehmen. Da er aber keine direkte Zusage machte, wurden ihm keine angeboten. Ungefähr am 12. September ist Henke dann an ihn herangetreten und hat ihm aufgegeben, an der Gross-Aktion in der Nacht vom 15. zum 16. September mitzumachen. Er hat dann Henke zugesagt, an dieser Aktion teilzunehmen und die Flugblätter bis zu einem bestimmten Zeitpunkt in Empfang zu nehmen. Später sei es ihm dann aber leid geworden und er hat sich an dieser Aktion nicht beteiligt.

Der Angeklagte D i e t r i c h war ebenfalls zum Deutschlandtreffen und ist mit Gutschmidt, Nehring und Beuster auf Anregung von Henke bei Kuhagen in Berlin gewesen. Im Hause der Kampfgruppe wurde auch er ausgefragt nach der Stärke der Besatzungsmacht und Polizei, über die Verhältnisse in Güstrow, dem Stand der LDP. und es wurde ihm aufgegeben, Meldungen über Polizei und Besatzungsmacht zu sammeln und diese dann der Dienststelle mitzuteilen.
Ihm wurden einige Hefte mitgegeben, um sie in der DDR. unter den Jugendlichen zu verteilen. Diese Hefte hat er dann in der S-Bahn niedergelegt. An den Aktionen beim Verteilen der Flugblätter war er nicht beteiligt.

Der Angeklagte Nehring war ebenfalls Delegierter des Deutschlandtreffens in Berlin und ist mit Beuster, Dietrich und Gutschmidt bei Kuhagen auf der Dienststelle gewesen. Nachdem einer der Angeklagten beim Eingang der Dienststelle sagte, sie wollten zu „Robbi Todt“ sind sie dann erst eingelassen und dem Kuhagen zugeführt worden. Sie wurden in der Küche bewirtet und dem Leiter der Kampfgruppe Dr. Hildebrandt vorgestellt. Dieser fragte nun nach der Stärke der Jugendlichen, die an dem Deutschlandtreffen teilnehmen und nach der Stärke der Polizei- und Besatzungsmacht in der DDR. Anschliessend wurden ihm Broschüren überreicht mit dem Titel „Kampf dem Ungeziefer“ die er unter den jugendlichen in der DDR. verteilen sollte. Da es ihm jedoch zu gefährlich erschien, hat er diese Broschüre in der S-Bahn liegen lassen. Ob eine direkte Widerstandsgruppe in Güstrow gebildet war, weiss er nicht. Es wurde jedoch in Berlin beschlossen, eine Gruppe in Güstrow zu bilden. An den einzelnen Klebeaktionen hat er sich nicht beteiligt.

Aufgrund dieses festgestellten Sachverhalts ist erwiesen, dass sämtliche Angeklagten ihren Aufenthalt in Berlin dazu benutzten, um mit der „Kampfgruppe gegen die Unmenschlichkeit“ in Verbindung zu treten. Es wurde hier beschlossen, eine Widerstandsgruppe mit dem Sitz in Güstrow zu bilden. Sämtliche Angeklagten haben der Dienststelle Nikolasse[e] Angaben gemacht, über die Stärke der Volkspolizei und Besatzungsmacht und haben auch Angaben gemacht über die Volkseigenen Betriebe. Sie waren sogar bereit, weiteres Material zu sammeln und der Kampfgruppe in Berlin vorzulegen. Darüber hinaus haben sie Flugblätter erhalten, diese in ihren Unterkünften bezw. in der S-Bahn ausgelegt, so dass sie zur Verteilung gelangten. Die Angeklagten Henke, Möller, Gutschmidt, Beuster, Rieder und Heyer haben dann die Widerstandsgruppe in Güstrow gebildet, deren Anführer der Angeklagte Henke war. Henke hat das Material nebst den Raketen von Berlin mitgebracht, den Plan der Verteilung ausgearbeitet, so dass diese Flugblätter in 3 Einzelaktionen in Güstrow verbreitet wurden. Ihr Ziel war, die Aufbauarbeit der DDR. zu untergraben und die Herrschaft der SED. zu beseitigen. Mit ihren Handlungen haben sie Propaganda getrieben gegen die DDR. und haben damit den Frieden des deutschen Volkes gefährdet. Sie waren bereit, die friedliche Aufbauarbeit in der DDR soweit zu stören, dass diese zu Fall gebracht würde und dass damit der Erfolg herbeigeführt werde, der von den westlichen Agenturen erstrebt wird. Legt man die Absicht der westlichen Agenturen zu Grunde, Deutschland wieder zu remilitarisieren, so tritt durch die Handlung der Angeklagten klar zu Tage, dass sie sich einer Verschwörung hingegeben haben, um eine Kriegshetze gegen die friedliebenden Völker zu entfalten. Auf Grund ihrer geistigen Reife haben sie sehr wohl erkannt, dass der Inhalt der zur Verteilung gelangten Flugblätter eine Hetze gegen die DDR. bedeutete. Trotzdem haben sie sich nicht davon abhalten lassen, obwohl sie alle einer demokratischen Blockpartei angehörten, die befohlenen Aktionen durchzuführen. Damit haben aber auch sämtliche Angeklagten vorsetzlich gehandelt. Sie sind schuldig geworden gemäss Art. III A/III der Kontrollratsdirektive 3[8]. Durch ihre Handlungen haben sie aber auch weiterhin eine Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen getrieben. Sie wollten das Ziel der Blockparteien und somit die Ziele der Nationalen Front inhibieren. Dieses glaubten sie dadurch zu erreichen, dass sie durch die Verteilung der Flugblätter die Bevölkerung aufhetzten gegen die SED. und gegen die FDJ. Beides sind aber demokratische Organisationen, die ihr Ziel darin sehen, nicht nur den Frieden des deutschen Volkes, sondern auch den der Welt zu erhalten. Damit sind sie auch vorsätzlich schuldig geworden gemäss Art. VI der Verfassung der DDR.

Bei der Strafzumessung war heranzuziehen die Tätigkeit der einzelnen und ihre Personenwürdigung. Unter den Angeklagten steht der Jugendliche Henke an erster Stelle. Er ist 17 Jahre alt und wurde als solcher zum stellvertretenden Ortsgruppenvorsitzenden der Ortsgruppe Güstrow ernannt. Darüber hinaus war er aber Mitglied fast aller Organisationen, die für Gleichberechtigung und Völkerfrieden kämpfen. Er war das Haupt dieser Widerstandsgruppe und hat die einzelnen Angeklagten der westlichen Agentur in Berlin zugeführt und auch den grössten Teil des Materials unter der Tarnung als Delegierter des National-Kongresses mit nach Güstrow gebracht. Er hat auch sämtliche Einsätze geleitet. Über das Ausmass seiner Tätigkeit war er sich vollkommen im klaren, denn er wusste, dass durch seine Tätigkeit die DDR. gefährdet war. Erschwerend fällt für ihn ins Gewicht, dass er unter der geschickten Tarnung, Mitglied aller demokratischen Organisationen zu sein, seine überaus unheilvolle Tätigkeit ausübte. Er verdient daher am schwersten bestraft zu werden. Für den Umstand, dass er Jugendlicher ist, waren für ihn die Bestimmungen des Jugendstrafrechts heranzuziehen und ist ihm auf Grund dieses Gesetzes die höchst zulässige Strafe von 10 Jahren Jugendgefängnis zuerkannt worden.

Die Angeklagten Möller, Gutschmidt, Beuster, die in der Widerstandgruppe unter der Tarnung als Mitglied demokratischer Organisationen aktiv tätig waren, verdienen ein hohes Strafmass. Sie haben der Dienststelle Nikolasse[e] über die Stimmung der Bevölkerung in der DDR, Stärke der Volkspolizei und der Sowjetischen Kontrollorgane berichtet und waren bereit, weiteres Material zu sammeln. Schon allein diese ausgeübte Spionagetätigkeit trägt ein hohes Unwertsgehalt. Darüberhinaus waren sie in Güstrow tätig und haben die Flugblätter mit hetzerischen Inhalt in mehreren Aktionen verteilt. Ihr Vorsatz war darauf gerichtet, in immer wiederkehrenden Teilhandlungen den beabsichtigten Erfolg zu erreichen. In dieser ihrer beharrlichen Tätigkeit kommt die Gefährlichkeit ihrer Person zum Ausdruck. Sie stehen in einem Alter und besitzen die geistige Reife, um die Auswirkungen ihrer Handlungen voll zu erkennen. Dass sie durch ihre Handlung die Gesamtorganisationen der LDP. aufs schwerste gefährdeten, war ihnen ebenfalls bekannt. Hemmungslos haben sie die Weisungen der westlichen Agenturen befolgt um den Aufbau der DDR. zu untergraben, die Volkswahl zu stören und Misstrauen zu säen unter den Völkern. Milderungsgründe, die ihre Taten hätten in einem günstigen Lichte erscheinen lassen, waren nicht zu erkennen. Sie verdienen daher mit der ganzen Schwere des Gesetzes angefasst zu werden. Aus diesem Grunde wurde jedem der Angeklagten eine Zuchthausstrafe von 15 Jahren auferlegt.

Der Angeklagte R i e d e r war Vorsitzender der Ortsgruppe der LDP in Güstrow und als solcher verpflichtet, die Mitglieder seiner Ortsgruppe über alle friedlichen Ziele der Regierung der DDR. aufzuklären und so die Aufwärtsentwicklung im Rahmen der Blockpolitik voranzutreiben. Unter der Tarnung dieser seiner Stellung, scheute er sich jedoch nicht, für die Widerstandsgruppe tätig zu sein, mit dem Ziel, die Regierung in der DDR. zu beseitigen und damit den Völkerfrieden zu stören. Wenn er auch nicht an den Einzelaktionen teilgenommen hat, wie die vorhergehenden Angeklagten, so tritt doch bei ihm erschwerend hervor, dass sie als Vorsitzender einer demokratischen Partei derart gehandelt hat. Er war als solcher in Nikola[s]see, war mitbeteiligt am Bericht und wusste, dass Henke Flugblätter und Raketen von Berlin mitgebracht hatte, um sie als Propagandamaterial zu verwenden. Von Henke wurde ihm mitgeteilt, dass er zur Widerstandsgruppe gehöre. Er war bereit, die Aktion am 15. zum 16. September mitzumachen. Wenn er sich trotz seiner Zusage nicht beteiligte, so ist hierin noch keine Missbilligung des Tuns der anderen zu erblicken. Als Vorsitzender war er verpflichtet seine Kenntnis sofort an die Polizei weiterzugeben. Durch sein Unterlassen hat er sämtliche Massnahmen der anderen gebilligt und war damit einverstanden. Ist sein Tun auch geringer wie das der vorhergehenden, so wirkte doch für ihn erschwerend, dass er als Vorsitzender einer demokratischen Partei Schädlingsarbeit geleistet hat. In Abwägung alles dessen wurde für ihn eine Zuchthausstrafe von 12 Jahren, die dem Unrechtsgehalt seines Tuns entspricht, festgesetzt.

Der Angeklagte H e y e r war ebenfalls in der demokratischen Organisation als Mitglied tätig und gehörte zum erweiterten Vorstand der LDP. Als solcher hätte er seine Pflichten darin sehen müssen, die friedliche Entwicklung der DDR. mit voranzutreiben, statt dessen geht er den umgekehrten Weg, wird Mitglied der Widerstandsgruppe und nimmt nunmehr oder weniger an den Einzelaktionen teil. Er hat auch wie alle übrigen Angehörigen der Dienststelle in Nikolasse[e] Mitteilung gemacht über die Stärke der Polizei- und Besatzungsmacht und über die Volkseigenen Betriebe, die für die Dienststelle von Wichtigkeit waren. Er wusste, dass Material in Güstrow lagerte und hatte Kenntnis, dass von diesem schon zweimal etwas verbreitet war. Wenn er auch den Grosseinsatz vom 15. zum 16. nicht mitmachte, so hat er doch die Handlungen der anderen gebilligt und war damit einverstanden. Somit ist auch er in vollem Umfang als Täter zu bestrafen. Da sein Tun persönlich gesehen geringer zu werten ist als bei Rieder, wurde ihm eine Zuchthausstrafe von 10 Jahren auferlegt.

Die Angeklag[t]en D i e t r i c h und N e h r i n g , die ebenfalls als Mitglieder demokratischer Organisationen am Deutschlandtreffen teilgenommen haben, benutzten auch diese die Gelegenheit, die Dienststelle am Nikola[s]see aufzusuchen und dieser ihre Kenntnisse, die sie in der DDR. gesammelt hatten mitzuteilen. Sie haben auch Hetzmaterial entgegengenommen, dies aber schon in der S-Bahn niedergel[e]gt. Später in Güstrow sind sie an den Einzelaktionen nicht beteiligt gewesen und sind von den übrigen Angeklagten auch nicht zu diesen Aktionen herangezogen worden. Auch sie erkannten die Absichten der Dienststelle in Nikola[s]see und wussten, dass ihr Bestreben darauf gerichtet war, die Meldungen dazu [zu] gebrauchen, um die einzelnen Gruppen in der DDR. erfolgversprechend einzusetzen. Weil sie in Güstrow nicht tätig geworden sind, vermochte ihr Fall gegenüber den übrigen Angeklagten milder beurteilt zu werden. Dadurch aber, dass sie wussten, dass die in den 2 vorhergehenden Aktionen verteilten Flugblätter von Henke und Genossen stammte und sie nichts unternahmen um diesen hetzerischen Treiben Einhalt [zu] gebieten, waren auch sie mit den Zielen der anderen einverstanden. Da sie aber weniger Angriffshandlungen tätigten, wie alle vorhergehenden, vermochte die ihr zuerkannte Strafe auch demgemäss festgelegt zu werden. Die ihnen auferlegte Zuchthausstrafe von 5 Jahren reicht aus, damit sie das Schädliche ihres Tuns erkennen.

Da die Angeklagten durch ihre Handlungen 2 Strafbestimmungen verletzt haben, wurde die ihnen auferlegte Strafe dem schwersten Gesetz entnommen, und das ist in diesem Fall das Strafgesetzbuch. Der Artikel VI der Verfassung der DDR. schreibt vor, dass solche Handlungen, wie hier die Angeklagten begangen haben, Verbrechen sind im Sinne des Strafgesetzbuches und demgemäss bestraft werden müssen. Das Strafgesetzbuch sieht für Verbrechen Bestrafungen mit Zuchthaus vor. Die Höhe der Strafe kann eine zeitlich oder lebenslängliche sein. Bei der Art der Handlung der Angeklagten genügt hier auf Grund ihrer persönlichen Wertung eine zeitlich Zuchthausstrafe. Die den Angeklagten sonst auferlegten Sühnemassnahmen sind dem Art. IX der Direktive 38 entnommen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 StPO.

gez. Schmiege
zugleich für den erkrankten Landrichter Reinwarth


Quelle: Privat-Archiv Peter Moeller

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