Abschrift
Also, dass wir beobachtet wurden, das war völlig klar, zum Teil wurde auch offen observiert. Ich glaube, jede Gruppe aus dem Osten, auch alle möglichen privaten Gruppierungen, haben mehr oder weniger Angst gehabt, dass direkt in der Gruppe jemand ist, der jemanden verrät, der Berichte schreibt. Und genauso hatten wir auch Angst. Aber Angst ist ein falsches Wort, es war eher ständig unter uns wie so ein Verfolgungswahn. Man hat sich die Leute ziemlich genau angeguckt, man hat sich ziemlich genau überlegt, über was man redet. Mit wem, wann und wo. In den Umwelt-Bibliotheksräumen haben wir grundsätzlich nicht über wichtige Sachen geredet, höchstens Zettel verschoben. Wir sind spazieren gegangen – oder in eine Kneipe, die ganz laut war.
Vor der Verhaftung '87 haben die auch meinen Vater massiv unter Druck gesetzt. Der hat an der Humboldt-Uni als Bauingenieur gearbeitet. Der war da an einer ziemlich hohen Stelle, und die sind ziemlich oft zu ihm gekommen und haben versucht, ihn über seine Arbeit unter Druck zu setzen. Die haben ganz klar gesagt: Er bekommt starke Einschränkungen in seiner Entscheidungsfähigkeit, wenn er nicht versucht, mich ein bisschen davon abzuhalten. Aber mein Vater fand das ziemlich in Ordnung, was er so davon wusste. Ich habe dem schon immer die Umweltblätter mitgegeben. Meine Mutter hatte ein bisschen Angst, aber mehr so als Mutter. Einfach, dass mir nichts passiert. Die hatte auch nicht so sehr Angst um sich. Bei meinem großen Bruder waren die auch auf der Arbeitsstelle, und der hat anfangs versucht, mich davon abzuhalten. Er hat mir vorgeworfen, dass ich die Familie in Gefahr bringe.
Aber wenn man auf so was hört, das ist Sippenhaftung. Dann kann man sich überhaupt nicht mehr bewegen, dann braucht man auch gar nichts mehr zu machen. Ich hatte mit meinen Eltern auch mal diskutiert, ob wir uns einfach offiziell voneinander lossagen. Es gab da so eine Möglichkeit. Das habe ich meinen Eltern vorgeschlagen, damit sie nicht noch mehr Ärger bekommen würden. Aber das haben sie natürlich rigoros abgelehnt. Das war überhaupt kein Thema.
Uta Ihlow, Zeitzeugin auf www.jugendopposition.de